»Völlig dem Kommunismus und der KPD ergeben« – Karl Stiffel, Mitbegründer der Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges. Ein Nachruf
Von Hans Daniel
Von Hans Daniel
Der Staatsanwalt bei der politischen Sonderstrafkammer des Landgerichts Lüneburg, Dr. von Lücken, hatte sich gut vorbereitet auf den Prozeß, in dem er vom 26. bis 28. Februar 1958 die Anklage zu vertreten hatte. Der am 31. Juli 1929 geborene Schlosser Karl Stiffel, Mitglied der KPD seit 1946, war Anfang Juli 1957 wegen Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot vom 17. August 1956 in Tateinheit mit Geheimbündelei verhaftet worden. Das Gericht erkannte nach den Darlegungen des Staatsanwalts Stiffel als »Rädelsführer in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung« und verurteilte ihn zu 18 Monaten Gefängnis. Von den acht Monaten U-Haft wurden nur vier Monate angerechnet. Gesamthaftzeit dauerte also 22 Monate.
Stiffel hatte keine Aussagen gemacht, keine Namen genannt. Was wiederum der Anklagevertreter nicht verwunderlich fand. Denn, so führte er bei der Antragsbegründung aus, schon der Vater sei in den 30er Jahren wegen Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden. In gleicher Weise habe nun auch der Sohn sein Vaterland, die Bundesrepublik, verraten und müsse entsprechend verurteilt werden.
Solche Worte vergißt man nicht so rasch. Wenn sie vor einer politischen Sonderkammer ausgesprochen werden, die mit Richtern besetzt ist, die schon den Vater ins Zuchthaus schickten und an Todesurteilen gegen deutsche und ausländische Hitlergegner beteiligt waren, kann das durchaus beeinflußend sein. Die Richter ahnten das wohl und verweigerten die Haftverschonung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe, denn »der Verurteilte bietet keine Gewähr, daß er sich nach seiner bedingten Entlassung gesetzmäßig verhalten werde.«
Was er sehr wohl tat. Bei Aktionen gegen die Wiederaufrüstung, gegen neofaschistische Umtriebe, gegen die Bonner »Deutschlandpolitik«. Im November 1968 gehörte er in Essen schließlich zu den Mitbegründern der »Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges« (IROKK), die als ihr Anliegen die politische und materielle Rehabilitierung der Bundesbürger sieht, die nach der Verabschiedung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951 und besonders nach dem KPD-Verbot 1956 wegen ihrer regierungskritischen Aktivitäten vom Staatsapparat verfolgt und durch die politische Sonderjustiz zu zum Teil hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Die Zahl von 10000 Verurteilungen nach über 250000 Ermittlungsverfahren in den Jahren 1951 bis 1968 mache »einem Polizeistaat alle Ehre« hatte der FDP-Politiker Gerhard Baum, von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister, einmal das Ergebnis staatlicher Kommunistenverfolgung bewertet.
In den letzten 23 Jahren hat Karl Stiffel als Sprecher der Initiative nicht nur im Inland jede Gelegenheit genutzt, dieses Thema in Erinnerung zu halten. In einem Land, in dem es seit 20 Jahren offizielle Staatsdoktrin ist, daß politisches Unrecht ausschließlich in der angeschlossenen DDR geschehen ist, kein einfaches Unterfangen. Mehrfache Versuche, das Thema Rehabilitierung im Bundestag zu behandeln, fanden bislang nur bei der PDS bzw. der Linkspartei Unterstützung. Die in den Protokollen dieser Bundestagssitzung nachzulesenden Reden der Bundestagsmehrheiten der vergangenen Legislaturperioden wirken wie Dokumente aus den finstersten Jahren des Kalten Krieges.
Das hat Karl Stiffel, der laut Lüneburger Landgericht »völlig dem Kommunismus und der KPD« ergeben war, nicht davon abgehalten, in den Kellerräumen der Hoffnungstraße 18 in Essen eine der ungewöhnlichsten Dokumentensammlungen der BRD anzulegen. Ganze Wände sind gefüllt mit Prozeßakten, Anklageschriften, Urteilen bundesdeutscher politischer Sondergerichte und Briefe Hinterbliebener. Erschütternde Schicksale etwa deutscher Kommunisten, die den faschistischen Terror überlebt hatten und nach 1945 zum Teil wieder Richtern in die Hände fielen, die sie einst ins Zuchthaus oder ins KZ geschickt hatten, Entscheidungen über die Aberkennung der Rente als Verfolgter des Faschismus, sind hier zu lesen. Erschreckend ist die Sprache der Richter.
Es bleibt zu hoffen, daß dieses einmalige Lebenswerk erhalten werden kann und vielleicht doch eines Tages genutzt wird, um das KPD-Verbot und seine Folgen nicht länger auf eine Randnotiz der Zeitgeschichte zu reduzieren. Dann kann es bei der ernsthaften Beschäftigung mit den Auswüchsen des paranoiden Antikommunismus der Jahre 1933 bis 1945 helfen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnte hier tätig werden, wie auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die ein Forschungsprojekt »Rolle und Bedeutung der KPD im deutsch-deutschen Systemkonflikt« fördert. Das wäre allemal im Sinne von Karl Stiffel, der in der Nacht zum 11. Dezember 2011 in Moers am Niederrhein nach längerer Krankheit gestorben ist. Rehabilitiert wurde er nicht. Ein Wort der Entschuldigung für angetanes Unrecht haben weder sein Sohn Götz, noch seine Frau Rosemarie vernommen, die ihm über die Jahrzehnte Kampfgefährtin war.
Stiffel hatte keine Aussagen gemacht, keine Namen genannt. Was wiederum der Anklagevertreter nicht verwunderlich fand. Denn, so führte er bei der Antragsbegründung aus, schon der Vater sei in den 30er Jahren wegen Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden. In gleicher Weise habe nun auch der Sohn sein Vaterland, die Bundesrepublik, verraten und müsse entsprechend verurteilt werden.
Solche Worte vergißt man nicht so rasch. Wenn sie vor einer politischen Sonderkammer ausgesprochen werden, die mit Richtern besetzt ist, die schon den Vater ins Zuchthaus schickten und an Todesurteilen gegen deutsche und ausländische Hitlergegner beteiligt waren, kann das durchaus beeinflußend sein. Die Richter ahnten das wohl und verweigerten die Haftverschonung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe, denn »der Verurteilte bietet keine Gewähr, daß er sich nach seiner bedingten Entlassung gesetzmäßig verhalten werde.«
Was er sehr wohl tat. Bei Aktionen gegen die Wiederaufrüstung, gegen neofaschistische Umtriebe, gegen die Bonner »Deutschlandpolitik«. Im November 1968 gehörte er in Essen schließlich zu den Mitbegründern der »Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges« (IROKK), die als ihr Anliegen die politische und materielle Rehabilitierung der Bundesbürger sieht, die nach der Verabschiedung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951 und besonders nach dem KPD-Verbot 1956 wegen ihrer regierungskritischen Aktivitäten vom Staatsapparat verfolgt und durch die politische Sonderjustiz zu zum Teil hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Die Zahl von 10000 Verurteilungen nach über 250000 Ermittlungsverfahren in den Jahren 1951 bis 1968 mache »einem Polizeistaat alle Ehre« hatte der FDP-Politiker Gerhard Baum, von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister, einmal das Ergebnis staatlicher Kommunistenverfolgung bewertet.
In den letzten 23 Jahren hat Karl Stiffel als Sprecher der Initiative nicht nur im Inland jede Gelegenheit genutzt, dieses Thema in Erinnerung zu halten. In einem Land, in dem es seit 20 Jahren offizielle Staatsdoktrin ist, daß politisches Unrecht ausschließlich in der angeschlossenen DDR geschehen ist, kein einfaches Unterfangen. Mehrfache Versuche, das Thema Rehabilitierung im Bundestag zu behandeln, fanden bislang nur bei der PDS bzw. der Linkspartei Unterstützung. Die in den Protokollen dieser Bundestagssitzung nachzulesenden Reden der Bundestagsmehrheiten der vergangenen Legislaturperioden wirken wie Dokumente aus den finstersten Jahren des Kalten Krieges.
Das hat Karl Stiffel, der laut Lüneburger Landgericht »völlig dem Kommunismus und der KPD« ergeben war, nicht davon abgehalten, in den Kellerräumen der Hoffnungstraße 18 in Essen eine der ungewöhnlichsten Dokumentensammlungen der BRD anzulegen. Ganze Wände sind gefüllt mit Prozeßakten, Anklageschriften, Urteilen bundesdeutscher politischer Sondergerichte und Briefe Hinterbliebener. Erschütternde Schicksale etwa deutscher Kommunisten, die den faschistischen Terror überlebt hatten und nach 1945 zum Teil wieder Richtern in die Hände fielen, die sie einst ins Zuchthaus oder ins KZ geschickt hatten, Entscheidungen über die Aberkennung der Rente als Verfolgter des Faschismus, sind hier zu lesen. Erschreckend ist die Sprache der Richter.
Es bleibt zu hoffen, daß dieses einmalige Lebenswerk erhalten werden kann und vielleicht doch eines Tages genutzt wird, um das KPD-Verbot und seine Folgen nicht länger auf eine Randnotiz der Zeitgeschichte zu reduzieren. Dann kann es bei der ernsthaften Beschäftigung mit den Auswüchsen des paranoiden Antikommunismus der Jahre 1933 bis 1945 helfen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnte hier tätig werden, wie auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die ein Forschungsprojekt »Rolle und Bedeutung der KPD im deutsch-deutschen Systemkonflikt« fördert. Das wäre allemal im Sinne von Karl Stiffel, der in der Nacht zum 11. Dezember 2011 in Moers am Niederrhein nach längerer Krankheit gestorben ist. Rehabilitiert wurde er nicht. Ein Wort der Entschuldigung für angetanes Unrecht haben weder sein Sohn Götz, noch seine Frau Rosemarie vernommen, die ihm über die Jahrzehnte Kampfgefährtin war.
Aus: Junge Welt 21.12.2011
Da es auf Grund des Artikels in der Jungen Welt einige Nachfragen gab, möchten wir klarstellen: Das Archiv der IROKK bleibt in den gewohnten Räumlichkeiten erhalten und wird weiter ausgebaut.
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