Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 21. November 2012

Engagement gegen Faschismus und Krieg ruft Geheimdienst auf den Plan.

Ein Gespräch mit Silvia Gingold

Interview: Markus Bernhardt
 
Das Foto zeigt Silvia Gingold und ihren Vater Peter auf dem Mann
Das Foto zeigt Silvia Gingold und ihren Vater Peter auf dem Mannheimer DKP-Parteitag 1978
Silvia Gingold lebt in Kassel. Sie ist Tochter der Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold. 1975 erhielt sie wegen Mitgliedschaft in der DKP Berufsverbot. 1976 kam es zur Wiedereinstellung als Angestellte aufgrund starken öffentlichen Drucks. Silvia Gingold ist heute im Kasseler Friedensforum und in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) aktiv.
Sie haben jüngst in Erfahrung zu bringen versucht, welche Informationen das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen über Sie gespeichert hat. Wie zufrieden sind Sie mit der Antwort?
Die Auskunft, daß ich seit dem Jahre 2009 im Bereich Linksextremismus« gespeichert bin, empört mich natürlich. Nach meinen Erfahrungen mit dieser Behörde, die seit meinem 17. Lebensjahr Erkenntnisse über mich gesammelt hat, die schließlich zu meinem Berufsverbot in den 1970er Jahren führten, bin ich allerdings nicht überrascht. Was mich verwundert, ist jedoch der angegebene Zeitraum, denn ich engagiere mich ja nicht erst seit 2009 gegen Faschismus und Krieg. Deshalb glaube ich, daß hier noch sehr viel mehr »Erkenntnisse« aus Bespitzelungen gehortet sind, die mir aber nicht offengelegt werden. 
 
Der Geheimdienst wirft Ihnen unter anderem vor, im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung aus der Autobiographie Ihres Vaters Peter Gingold vorgelesen zu haben.
Dieser Vorwurf hat mich besonders tief empört und macht mich wütend. Das Anliegen meines Vaters war es, seine Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf den nachfolgenden Generationen nahezubringen und sie zu ermutigen, gegen Nazi-Ideologie, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus aktiv zu werden. Als Zeitzeuge appellierte er besonders an Jugendliche sich einzumischen, »damit ihr nicht das, was wir damals riskieren mußten, morgen riskieren müßt«.

Wenn ich aus dem Buch meines Vaters lese, tue ich dies aus der tiefen Überzeugung, daß es unerläßlich ist, die wertvollen Erinnerungen der Widerstandskämpfer, deren unermüdliche Warnungen vor der Gefahr von rechts weiterzutragen und ihre Erfahrungen in unseren heutigen Kampf gegen Neofaschismus und Krieg einzubeziehen. Wenn dies linksextremistisch ist, wie es der Verfassungsschutz« einordnet, so bin ich gerne linksextrem. 
 
Der Verfassungsschutz behauptet außerdem, daß Berichte über Ihre Person aus den Jahren zwischen 1974 und 1977 – damals waren Sie Opfer der Berufsverbote in Westdeutschland – nicht mehr vorlägen. Für wie glaubwürdig halten Sie diese Darstellung?
Wie schon erwähnt, glaube ich nicht, daß erst Daten seit 2009 über mich gespeichert worden sind. Meine Eltern wurden als Kommunisten und Mitglieder der verbotenen KPD schon bespitzelt und überwacht, als ich noch ein Kind war. Wie wir später erfuhren, verdiente sich ein Rentner, der gegenüber von unserem Wohnhaus in Frankfurt am Main wohnte, ein Zubrot, indem er für den »Verfassungsschutz« unser Haus beobachtete, unsere Besucher und ihre Autokennzeichen notierte und dem Geheimdienst Bericht erstattete. Als ich mich als Jugendliche selbst politisch engagierte, wurde auch ich in die Überwachung mit einbezogen. Diese gesammelten Beobachtungen wurden mir während meiner Anhörung im Jahr 1974 vorgelegt und beinhalteten unter anderem meine Teilnahme an Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam, gegen Neonazis und Rassismus. Sie lieferten letztlich die Grundlage für ein Gerichtsurteil, das mich zur Verfassungsfeindin stempelt und aufgrund dessen ich in Hessen keine Beamtin werden konnte. Dieses Urteil aus dem Jahr 1977 ist nie aufgehoben worden. Daher habe ich große Zweifel, daß die entsprechenden Daten nicht mehr existieren. Zumindest habe ich nie eine Protokoll oder Ähnliches bekommen, das mir einen Nachweis über deren Vernichtung erbracht hätte. 
 
Während die hessischen Schlapphüte – Stichwort »Kleiner Adolf« – ganz offensichtlich in den Terror des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) verstrickt sind, überwacht die Behörde weiterhin maßgeblich die politische Linke. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?
Es ist ein Skandal, daß der damalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes und V-Mann-Führer Andreas Temme, der sich nachweislich kurz vor der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel am Tatort aufgehalten hatte und somit in den Kreis der Verdächtigen gehört, nun in der Behörde meines ehemaligen Arbeitgebers im öffentlichen Dienst, dem Regierungspräsidium Kassel, arbeitet. Dies, obwohl seine Gesinnung bekannt ist und sogar Waffen bei ihm gefunden wurden. Linke und Antifaschisten, die sich den Nazis in den Weg stellen, werden hingegen bespitzelt und kriminalisiert. Der hessische Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Willi van Ooyen, wurde gar unter Strafe gestellt, weil er sich an der Blockade gegen die Neonazis in Dresden beteiligte. 
 
In den vergangenen Monaten wurde bekannt, daß sich in manchen Kreisverbänden der CDU, die in Hessen immerhin die Landesregierung stellt, Neofaschisten tummelten. Welche politische Verantwortung trägt die Landesregierung an besagten Zuständen?
Daß diese Landesregierung nur das Feindbild links kennt, kann niemanden überraschen. Hat doch Roland Koch, der Vorgänger des heutigen Ministerpräsidenten, seine Wiederwahl durch eine rassistische Wahlkampagne erreicht. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion fiel mehr durch seine rechtspopulistische Hetze in seinem Wetzlarer Anzeigenblatt auf, denn durch seine Vorschläge zur Verbesserung der Bildungspolitik. Der heutige Ministerpräsident Volker Bouffier hatte damals als Innenminister die Verantwortung für den hessischen Verfassungsschutz, als man durch den Schutz von Andreas Temme die Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat behinderte. 
 
Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung in Sachen Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste in den braunen Terror?
Die vielen Ungereimtheiten, angeblichen Pannen«, das Verschwinden und Schreddern von Akten etc. machen deutlich, daß hier mehr vertuscht wird, als daß man an einer ernsthaften Aufklärung des braunen Terrors interessiert ist. Die immer neu und mehr zufällig ans Tageslicht gekommenen personellen Verstrickungen der V-Leute in den Neonaziterror nähren den Verdacht, daß diese Szene Rückendeckung durch den Verfassungsschutz genießt und durch ihn unterstützt wurde und wird. 
 
Halten Sie eine Demokratisierung der Verfassungsschutzbehörden, wie sie von Teilen der Linken gefordert wird, für möglich?
Von Anfang an machte sich diese Behörde die Erfahrungen früherer Mitarbeiter von SS und NS-Geheimdiensten zunutze, die lange Zeit in führenden Positionen des »Verfassungsschutzes« tätig waren. Den aus der Nazizeit hinübergeretteten Antikommunismus prägt dieses Amt heute immer noch nachhaltig.

Die Kontinuität der Verfolgung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Linken, Antifaschisten und Kommunisten, die sich wie ein roter Faden ungebrochen durch die Geschichte der Bundesrepublik zieht, legen davon Zeugnis ab: Verfolgung und Gefängnisstrafen von Kommunisten in den 1950er Jahren, das KPD-Verbot, das Verbot antifaschistischer und Friedensorganisationen, die Bespitzelungen auf der Grundlage des Radikalenerlasses, die zu 11000 Berufsverbotsverfahren in den 1970er Jahren führten, die Überwachung und Bestrafung von Antifaschisten, die heute neonazistische Aufmärsche verhindern – alle diese Tatsachen widersprechen dem Schutz der Verfassung und sind gegen sie gerichtet. Deshalb ist dieser »Verfassungsschutz« nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich und gehört abgeschafft.
 

Auskunftsersuchen in Sachen Verfassungsschutz

Am 16. Oktober 2012 hatte sich Silvia Gingold an das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen gewandt und um »Auskunft über die über mich gespeicherten Daten« gebeten:

Sehr geehrte Damen und Herren, in den Jahren 1974 bis 1977 hatte ich ein Berufsverbotsverfahren. Im Zuge dieses Verfahrens wurden auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes verwendet und auf dessen Einschätzungen verwiesen. Ich habe also Anlaß zu der Befürchtung, daß bei Ihrer Behörde Daten über mich gespeichert sind. Da mir durch dieses Verfahren erheblicher Schaden zugefügt wurde, habe ich besonderes Interesse an einer Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten.

Deshalb fordere ich Sie auf, mir mitzuteilen, ob über mich bei Ihrer Behörde Daten erhoben wurden und gespeichert sind; wenn ja möchte ich Auskunft darüber, um welche Informationen es sich handelt, aus welcher Quelle diese Informationen stammen, seit wann diese Informationen vorliegen und an wen diese Daten weitergegeben wurden. Bitte nennen Sie mir auch die Rechtsgrundlage dafür, daß Sie Daten über mich speichern.

Antwort

Am 8. November antwortete Dr. Karrenberg »im Auftrag« für das Landesamt für Verfassungs-schutz Hessen auf ein Auskunftsersuchen von Silvia Gingold:

Sehr geehrte Frau Gingold,

(…) Die von mir durchgeführte Überprüfung anhand der von lhnen gemachten personenbezogenen Angaben hat ergeben, daß Sie seit dem Jahre 2009 im Bereich Linksextremismus gespeichert sind.

Es ist hier bekannt, daß Sie am 15. Oktober 2011 im Rahmen der GegenBuchMasse im Themenspektrum Antifaschismus für die Vorstellung der Autobiographie von Peter Gingold als Referentin angekündigt waren. lhr Vortrag war innerhalb der sogenannten »Langen Lesenacht« im autonomen Szenetreff Café Exzess (vgl. Verfassungsschutzbericht 2010, S.134 und 201 1, S. 1 09 f., www.verfassungsschutz.hessen.de) vorgesehen.

Die Anti-Nazi-Koordination initiierte am 28. Januar 2012 eine Demonstration unter dem Motto »staatliche Unterstützung für Nazis beenden – Verfassungsschutz auflösen« in Frankfurt am Main. Sie wurden als Rednerin zum Thema »40 Jahre Berufsverbote in der BRD« angekündigt.

Über die hier genannten lnformationen hinaus vermag ich lhnen keine Auskünfte zu erteilen. Unter Zugrundelegung des Zwecks der Auskunftsregelung des § 18 LfV-Gesetzes muß das von lhnen geltend gemachte Auskunftsinteresse gegenüber dem öffentlichen lnteresse an der Geheimhaltung der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen zurücktreten.

Es kann heute nicht mehr festgestellt werden, ob in den Jahren 1974 bis 1977 Daten zu ihrer Person gespeichert waren. Wenn zu diesem Zeitpunkt Datenspeicherungen zu ihrer Person vorgelegen haben, sind diese zwischenzeitlich aufgrund der gesetzlichen Vorschriften gelöscht worden. Die Speicherung personenbezogener Daten erfolgt auf Grundlage des § 6 HLfV-Gesetz. Sie sind zur Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 HLfV-Gesetz erforderlich. Die Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz besteht darin, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen.

Nach § 6 Abs. 6 HLfV-Gesetz prüft das Landesamt für Verfassungsschutz spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zur Aufgabenerfüllung noch erforderlich sind. Sind sie das nicht, werden diese gelöscht. (…)

Montag, 5. November 2012

"Verboten-Verfolgt-Vergessen"-Ein Film über die Verfolgung der politischen Opposition in der Adenauerzeit

Filmstill aus " Verboten Verfolgt Vergessen"
"Verboten-Verfolgt-Vergessen"

Ein Film über die Verfolgung der politischen Opposition in der Adenauerzeit

Bereits kurz nach Ende des 2. Weltkriegs begann der "Kalte Krieg“. Vor diesem Hintergrund plante die Regierung unter Bundeskanzler Adenauer - trotz der erst wenige Jahre zurückliegenden Verbrechen der Wehrmacht - schon 1950 den Aufbau einer westdeutschen Armee. Gegen dieses Vorhaben gab es in der Bevölkerung große Proteste.

Die Regierung Adenauer reagierte schnell. Das Strafrecht wurde durch die "Blitzgesetze“ geändert. Alle Bürgerinnen und Bürger, die gegen die Wiederbewaffnung oder z. B. für die Wiedervereinigung waren, konnten nun als Staatsfeinde verfolgt werden.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und andere oppositionelle Organisationen wurden verboten. Etwa 10.000 Menschen wurden zu teils langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Oftmals wurde ihre Existenz zerstört.
Über dieses Kapitel deutscher Geschichte wurde bislang weitgehend der Mantel des Schweigens ausgebreitet.

"Verboten-Verfolgt-Vergessen“ erzählt die Geschichte dieser Menschen. (PK)
Laufzeit: ca. 57 Minuten, DVD, 16:9, D 2012
Regie: Daniel Burkholz
Creative Producer: Sybille Fezer
Interviews: Daniel Burkholz, Sybille Fezer
Kamera: Ruzbeh Sadeghi
Schnitt und Postproduktion: Gunnar Walther
Produktion: Roadside Dokumentarfilm
Copyright: Roadside Dokumentarfilm / Daniel Burkholz
Fotos - Proteste gegen die Wiederbewaffnung, KPD-Verbot, FDJ-Verbot, Autoren: Toni Tripp, Archiv Ruhr Museum Essen und Manfred Tripp, Archiv Hamburger Institut für Sozialforschung

Erste Vorführungen des Films:

Premiere: Freitag, dem 19. Oktober, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Central Kino, Rosenthalerstr. 34, in Berlin.
 
Am Donnerstag, dem 8. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Kino Pelmke, in Hagen.
Am Sonntag, dem 11. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im "Kult 41", in Bonn.
Am Donnerstag, dem 15. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im "Trotz Allem", in Witten.
Am Montag, dem 19. November, läuft "Verboten-Verfolgt-Vergessen" im Wichernhaus, in Dortmund.

Montag, 24. September 2012

Gerhard Bialas - 60 Jahre vom Verfassungsschutz überwacht


Gerhard_Bialas24.09.2012: Landauf, landab wird in diesem Jahr 60 Jahre Baden Württemberg gefeiert. Und in der Tat durch die Hände Arbeit und den Geist von Millionen arbeitenden Menschen wurde vieles erreicht. So wurde Baden Württemberg zu einem der reichsten Regionen in Europa. Die Kehrseite davon. 60 Jahre Baden Württemberg sind auch 60 Jahre Überwachung der kommunistischen Partei, 40 Jahre Berufsverbote und mehr als 60 Jahre Überwachung des Kommunisten Gerhard Bialas, der über 30 Jahre dem Gemeinderat von Tübingen und über 20 Jahre dem Kreistag angehörte. Und die Bespitzelung geht auch unter der grün-roten Landesregierung weiter.
Eine unrühmliche fast unglaubliche Geschichte, die nur begreift wer hinter das System des Kapitalismus, seiner Machenschaften und seiner geschaffenen Macht- und Überwachungsorgane blickt und diese durchschaut. Gerhard Bialas war von 1975 bis 1994 Stadt– und Kreisrat der DKP. Danach als Kommunist für die Tübinger Linke  (TÜL) und für das Wahlbündnis TÜL/PDS bis 2005 im Gemeinderat  und im Kreistag. Er war darüber hinaus bis zu seiner Rente 27 Jahre als Gärtnermeister im botanischen Garten der Universität Tübingen beschäftigt. Viele Jahre gewählter Vertreter der Uni-Beschäftigten im Senat, im Großen Senat und im Personalrat.
Gerhard Bialas zog sich 2005 nach 30 Jahren mit 75 Jahren aus Altersgründen von der gemeinderätlichen Parlamentsarbeit zurück. Nicht aber von der Politik. Nicht von der Arbeit als überzeugter Kommunist und konsequenter Vertreter der Interessen der Tübinger Bevölkerung und der kleinen Leute. Bei Aktionen, in Bürgerinitiativen, Demonstrationen durch Leserbriefe steckt er mit seinen heute 81 Jahren noch immer „den Finger in die Wunde.“ Oder wie er bei seinem damaligen Ausscheiden formulierte „ich werde weitermachen und „manchen weiterhin auf den Wecker gehen, bis es bei ihnen klingelt.“
Für seinen langen ehrenamtlichen Einsatz bekam Gerhard Bialas im Jahr 2002 das Verdienstabzeichen in Silber und 2005 in Gold des Städtetags von Baden Württemberg. Der  Präsident des Städtetages, der Bruchsaler OB Doll (CDU) und dessen Tübinger SPD-Amtskollegin Brigitte Russ-Scherer appellierten an den damaligen Ministerpräsidenten Teufel die Überwachung von Gerhard Bialas zu überdenken, da sich Bialas „stets auf dem Boden des Grundgesetzes, der Landesverfassung und der Gemeindeordnung Baden Württemberg bewegt“ habe. Darüber hinaus erhielt Gerhard Bialas im Jahr 2004 vom Landkreistag Baden Württemberg die Landkreismedaille verliehen und 1993 eine Urkunde, in der die CDU Landesregierung ihm für die „treu geleistete Arbeit Dank und Anerkennung“ ausspricht. Kein Wort also, dass Bialas ein „Verfassungsfeind“ sei, sondern er auf dem Boden des Grundgesetzes und der Landesverfassung agiert, handelt und diese umsetzt. Mehr noch: Gerhard Bialas hat diese gegen alle antidemokratischen Angriffe offensiv verteidigt.
Doch all dieses Lob nutzt ihm nichts. Seiner mehrfach erhobenen Forderung die diskriminierenden Tätigkeiten des Verfassungsschutzes gegen sich und seine Partei die DKP einzustellen, kamen die früheren Landesregierungen der CDU nicht nach. Überwachung und Bespitzelungen gingen und gehen munter weiter. War das von den ehemaligen Nazigrößen und Ministerpräsidenten unseres Landes wie Kurt Georg Kiesinger oder dem fürchterlichen Nazijuristen Hans Filbinger oder ihren Nachfolgern. Sie alle waren auf dem rechten Auge blind. Sie alle hofierten die Rechten und kriminalisierten die Linken.
Durch den Druck einer breiten demokratischen Öffentlichkeit wurde die 57 Jahre anhaltende CDU Herrschaft in Baden Württemberg beendet. Doch nicht nur bei „Stuttgart 21“ macht sich die Koalition von Grünen und SPD, von Kretschmann und Schmid zum Vollstrecker dessen, woran u.a. Mappus scheiterte. Auch was die Bespitzelung und Überwachung von KommunistInnen und DemokratInnen anbelangt macht diese Regierung munter weiter. Es gibt keine Neubewertung der Verfassungsschutz-Überwachung. Auch nicht nach all den systemischen Verfilzungen und Verflechtungen staatlicher Behörden im Zusammenhang mit der Blutspur die die NSU durch die Bundesrepublik zog.

Bialas weiterhin im Visier des „Verfassungsschutzes“
Bialas_Brief_300112Empört darüber wandte sich Gerhard Bialas „nach 40 Jahren Radikalenerlaß“ am 30. Januar, dem 79. Jahrestages der Machtübertragung auf Hitler,  an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), mit der Aufforderung, die diskriminierenden Tätigkeiten, Bespitzelung und Überwachung gegen seine Person zu beenden (siehe Anhang). In seinem Schreiben formuliert er u.a.
Er sei nun „80 Jahre alt, davon 60 Jahre bespitzelt, obwohl ich nie straffällig wurde. Der Grund bestehe lediglich darin, dass ich Mitglied der DKP bin.“ Mit seiner Forderung  verbindet Gerhard Bialas die Hoffnung an den Ministerpräsidenten  „nicht … einfach alte Antworten zu geben. Mit dem Ablösen der schwarz-gelben Landesregierung sollte sich auch hier einiges zur Stärkung der Demokratie ändern.“
Doch weit gefehlt: Die neue Landesregierung hat keine neuen Antworten und so bleibt es bei den alten. Es ähneln sich die Antworten an Gerhard Bialas zu seiner weiteren Bespitzelung und Überwachung vor 10 Jahren aus dem Ministerium von Erwin Teufel (CDU)  mit denen aus dem Staatsministerium von Kretschmann heute. Allerdings ein Unterschied gibt es. Gerhard Bialas ist mittlerweile 80 Jahre alt. Und so schreibt die Landesregierung. „Auch der Verweis auf ihr hohes Alter vermag die Beendigung der Beobachtung nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob Ihrerseits eine aktive Betätigung für verfassungsfeindliche Bestrebungen unterbleibt. Dies ist nicht der Fall. … Ihr Alter findet insofern Berücksichtigung, als das Landesamt für Verfassungsschutz verpflichtet ist, bei Personen über 70 Jahren in kürzeren Abständen als bei jüngeren Personen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beobachtung weiter vorliegen.“
Die Antwort der Landesregierung auf seine Forderung ahnend, formulierte Gerhard in seinem Brief an Kretschmann weiter:  Es ist eine „unglaubliche Anmaßung mir Verfassungsfeindlichkeit zu unterstellen.“ Er habe „ein großes Unbehagen angesichts der Vorkommnisse um V-Leute aus dem Nazispektrum, dass ich als Antifaschist möglicherweise von Leuten bespitzelt und bedroht werde, die zu denen gehören könnten.“ Seine Konsequenz und Forderung daraus an die Landesregierung, sie „solle den „Verfassungsschutz“ auflösen, (der Bund auch) um damit die verfassungsgemäßen Rechte der BürgerInnen zu schützen.“
Anstatt die enormen finanziellen Mittel der Bespitzelung gegen „ihn und andere Linke zu verplempern“ fordert er „diesen Unsinn einzustellen“ und diese Mittel für sinnvolle Aufgaben zu verwenden.
Was die Landesregierung von ihm will, spricht Gerhard ganz offen aus. „Sie wollen, dass ich aus der DKP austrete. Doch den Gefallen werde ich ihnen nicht tun“ sagt er  stolz, selbstbewusst, überzeugend und trotzig „Meine Mitgliedschaft in der DKP endet frühestens mit meinem Tod.“

Text: Dieter Keller

Kommunisten.de 

Donnerstag, 20. September 2012

Erklärung vor dem Göttinger Amtsgericht

Wir dokumentieren hier die Erklärung des jungen Genossen vor dem Göttinger Amtsgericht:
 
"Heute stehe ich vor dem Amtsgericht als Angeklagter. Nicht weil ich etwas verbrochen habe, sondern weil ich als kommunistischer Demokrat aktiv bin.
Staatliche Repression ist in meiner Familie nichts Neues. Ich bin Kommunist in dritter Generation. Bereits mein Großvater wurde vom Geheimdienst des ägyptischen Präsidenten Gamel Abdel Nasser verhaftet und gefoltert. Er verlor zudem seine Lizenz als Rechtsanwalt zu arbeiten, weil er ein Aktivist der Kommunistischen Partei und Verteidiger der Sache der Arbeiter war.
Mein Vater musste mehrmals sein Studium abbrechen und erhielt in allen arabischen Staaten Einreiseverbot. Er wurde im Irak unter Saddam Hussein verhaftet, zum Tode verurteilt und gefoltert. Durch Gefangenenaustausch kam er schließlich frei, um dann vom syrischen Regime unter Hafiz Al-Assad (dem Vater des heutigen syrischen Präsidenten) verhaftet und gefoltert zu werden.
Selbst ich wurde mit dreizehn Jahren vom syrischen Geheimdienst für Nationale Angelegenheiten verhört. Ich musste mit meinen Eltern Syrien verlassen, weil meine Eltern sich für die Freilassung politischer Gefangener und für die Belebung der syrischen Zivilgesellschaft eingesetzt hatten. 2002 kamen wir in die Bundesrepublik Deutschland, wo wir Asyl beantragten. Daraufhin mussten wir sechs Jahre in einem Isolationslager im Thüringer Wald vegetieren. Aber wir blieben erhobenen Hauptes im Kampf gegen das Isolationsregime und die Apartheid-Gesetze der Bundesrepublik Deutschland, namentlich die Residenzpflicht. In diesen sechs Jahren haben wir den Rassismus in diesem Land kennengelernt. Keine Rechte zu besitzen, die ständige Angst vor Erniedrigung durch Polizisten zu erfahren, weil man sein Menschenrecht auf Bewegung und politische Aktivität wahrgenommen hat. In ständiger Angst vor nächtlicher Abschiebung durch vermummte Polizisten, die uns damit in Folter und Tod geschickt hätten. Die Erniedrigung wegen des deutschen sogenannten „Gutscheinsystems“ im Supermarkt jedesmal als Asylant gebrandmarkt zu werden. Durch Androhung der Ausländerbehörde von der Schule verwiesen zu werden und der Willkür, als von dort mein Antrag auf ein Studium untersagt wurde, obwohl damals die Universität Jena keinerlei Einwände gegen meinen Studienbeginn hatte. Dieses Leben, sechs Jahre lang, hat mich und meine Eltern geprägt. Wir haben den Kampf dagegen stets geführt. Gemeinsam mit Freunden von The Voice Refugee Forum und von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten standen wir fest für die Menschenwürde in diesem Land.
Ich erzähle diese Geschichte unserer syrischen kommunistischen Familie mit ihren zwei Perspektiven, einmal in ihrer Heimat und einmal in ihrem Exil. Und wenn ich gegen Schünemann, Kruse und Co. protestiere, dann sollen sie wissen, dass hier ein Betroffener dieser Politik vor ihnen steht. Ich und meine Familie kennen die Geheimdienste, die Polizei und den institutionellen Rassismus aufgrund eigener Erfahrung. Ich bin in diesem Sinne ein Überzeugter, aber kein Täter.
Und erneut steht ein Kommunist vor einem deutschen Gericht. Das hat Tradition in Deutschland. Vom Kommunistenprozess in Köln vor zwei Jahrhunderten hin zur Verfolgung der politischen Führung des sozialistischen Deutschlands, der Deutschen Demokratischen Republik. Immer handelt es sich dabei um politische Schauprozesse. Es soll an Einzelnen ein Exempel statuiert werden, um eine ganze Bewegung zu delegitimieren. Ankläger werden dabei zu Angeklagten, Angeklagte werden zu Anklägern. Angeklagt gehört hätten heute vor diesem Gericht allerdings zwei andere Männer:
Zum einen der zweifache Gewinner des Titels „Abschiebeminister des Jahres“ und zweifache Träger des Big Brother Awards, Herr Uwe Schünemann, Innenminister des Landes Niedersachsen. Zum anderen sein ehemaliger stellvertretender Inlandsgeheimdienstchef Herr Robert Kruse, derzeitiger Polizeichef Göttingens.
Die Anklageschrift würde wie folgt lauten: Der Herr Innenminister ist politisch verantwortlich für den Tod des Flüchtlings Shambu Lama aus Meinersen, der durch das widerrechtliche Handeln der dem Innenminister unterstehenden Ausländerbehörde Gifhorn in den „Freitod“ getrieben wurde. Shambu Lama wollte mit seinem Sohn zusammenziehen, um gemeinsam mit ihm zu leben, doch die Ausländerbehörde verweigerte ihm seinen Wunsch und drohte mit Abschiebung. Shambu Lama sprang daraufhin aus Verzweiflung vor einen Zug und starb.
Herr Schünemann ist auch für die Abschiebung von schwangeren Frauen verantwortlich. Unter anderem die Abschiebung der im vierten Monat schwangeren Syrerin Abta Houran am 7. Juli 2009. Sie wurde nach ihrer Ankunft in Syrien umgehend von syrischen Behörden festgenommen. Der wohl noch bekanntere Fall ist der der libanesischen Frau Gazale Salame. Sie wurde von ihrem Ehemann und ihren Kindern durch deutsche Polizei getrennt und trotz ihrer Schwangerschaft abgeschoben, und zwar in das ihr völlig fremde Land Türkei. Die Abschiebung von Frau Salame fand auf persönliches Drängen des Innenministers statt. Die Liste von schändlichen Abschiebungen ließe sich noch ergänzen. Der Innenminister soll die Ausländerbehörden sogar zu noch rigoroserem Verhalten angespornt haben, so viele Medienberichte.
Der Innenminister veranlasste im Jahr 2003 auch den ersten Einsatz von Überwachungsdrohnen bei Anti-Castor-Protesten und ist Betreiber und Befürworter massiver Einschränkungen der demokratischen Rechte, so u.a. des Versammlungsgesetzes. Er steht auch für präventive Überwachung von Email-Verkehr und Telefongesprächen.
Herr Uwe Schünemann ist damit natürlich nicht als Person gemeint, sondern als Stellvertreter eines institutionellen Rassismus in krassester Form: nämlich Abschiebung, Ausgrenzung, Isolation und Menschenverachtung. Er steht ebenfalls stellvertretend für eine Reihe antidemokratischer Gesetzgebungen im Bereich des Ausbaus der Geheimdienste, der Einschränkung des Versammlungsgesetzes und diversen politischen Angriffen auf Demokraten, Antifaschisten und Kommunisten.
Auf der anderen Seite steht Herr Robert Kruse als ehemaliger stellvertretender Leiter des niedersächsischen Inlandsgeheimdiensts, dem sogenannten Verfassungsschutz, nun als derzeitiger Chef der Göttinger Polizei. Zuallererst überkommt einen dabei das Befremden und Fremdschämen gegenüber dem Land Niedersachsen, eine solche Personalentscheidung getroffen zu haben, die ein Angriff ist auf den Geist des Grundgesetzes und die von Mitgliedern der Anti-Hitler-Koalition beschlossenen Potsdamer Abkommen, in denen eine Verschmelzung von Geheimdienst und Polizei strikt untersagt wird. Das ist ein Schritt zur Abschaffung der bürgerlichen Demokratie von rechts, indem man den stellvertretenden Geheimdienstchef zum Polizeichef beruft und den Polizeichef zum Geheimdienstchef – eine personelle Verschmelzung, die Besorgnis bei jedem Demokraten und Antifaschisten hervorrufen sollte.
Herr Robert Kruse ist damit natürlich auch nicht als Person gemeint, sondern als Stellvertreter für die polizeilichen widerrechtlichen Maßnahmen gegen Abschiebegegner und Antifaschisten im Rahmen des sogenannten „Tee-Küchen-Vorfalls“, für die Verfolgung eines jungen Mannes, der wochenlang untertauchen und dann unrechtmäßig seine DNA abgeben musste. Herr Kruse steht stellvertretend für die Überwachung von demokratischen und antifaschistischen Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) oder Einzelpersonen wie dem Göttinger Journalisten Kai Budler durch den Inlandsgeheimdienst und für die Überwachung der Kommunisten, die letztendlichen Kämpfer für Menschenrechte.
Beide, Herr Schünemann und Herr Kruse, waren im Januar diesen Jahres vom rechten Studierendenverband der CDU in die Universität eingeladen worden. Ihnen stellten sich mehrere hundert Demokraten, Antifaschisten und Kommunisten friedlich in dem Weg. Die Polizei aber prügelte trotz reibungslosen Ablaufes der Veranstaltung in die Menge.
Daher kurz noch zur Polizei, obwohl sie kein direkter politischer Gegner ist. Der Göttinger Polizei geht es heute mit diesem Prozess darum, ihr Gesicht zu bewahren, nachdem sie an jenem Januartag in bürgerlichen Medien wie dem NDR als Prügelpolizei dargestellt wurde. Es geht um Nachlieferung einer Begründung für ihre brutale Gewaltorgie gegen demokratische und antifaschistische Studierende wie mich. Ein Zitat eines Ihrer Kollegen, Richter Steinhof aus Dessau, zum Verhalten der gesamten Polizei Dessau im Rahmen der Gerichtsverhandlung um den Mord an dem Flüchtling Oury Jalloh spricht, meine ich, Bände über den Geist der deutschen Polizei:
„Was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat, und Polizeibeamte, die in besonderem Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung verunmöglicht.“
Es ist kein Geheimnis, dass in der Polizei ein sogenannter Korps-Geist vorherrscht, in der immer mehr prügelnde Polizisten sich gegenseitig durch Absprachen vor strafrechtlicher Verfolgung – wie der Fall Oury Jalloh zeigt – schützen. Polizisten sind Instrumente des bürgerlichen Staates um die demokratische und fortschrittliche Bewegung zu unterdrücken. Sie werden häufig vor Einsätzen politisch gedrillt. Gedrillt gegen uns, jene Demokraten, die gegen Rassismus, Sozial- und Demokratieabbau vorgehen. Max Reimann, Vorsitzender der verbotenen KPD, sagte zur Verabschiedung des Grundgesetzes 1949: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“
Die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen ihre Feinde von rechts und gegen die politische Elite dieses Landes ist eine Linie der Kommunisten, die trotz KPD-Verbot und Berufsverbote nicht geändert wurde. Wenn Sie mich heute verurteilen, dann ist es nicht nur meine Person, die sie aburteilen, sondern die demokratische und antifaschistische Bewegung. Eine demokratische und antifaschistische Bewegung, welche gegen die rechten Feinde der Demokratie protestiert hat, die protestiert hat gegen Abschiebeminister Schünemann und Ex-Geheimdienst-Chef Kruse. Es wäre ein Urteil gegen die demokratischen und antifaschistischen Kräfte, gegen die Demokratie."

Quelle: SDAJ Göttingen

Freispruch! - Politischer Prozeß in Göttingen

Am 10.01.2012 organisierte der konservative Studierendenverband Ring Christlicher Studenten (RCDS) im Zentralen Hörsaalgebäude der Universität eine Veranstaltung mit Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und dem Göttinger Polizeipräsidenten Robert Kruse unter dem Titel „Sicherheitspolitik in Niedersachsen und Göttingen im Speziellen“. Der CDU-nahe Studierendenverband wollte sich mit dieser provokativen Veranstaltung in der Endphase des Uni-Wahlkampfes ins Gespräch bringen und Stimmung gegen linke Politik machen. Ein breites Bündnis aus AStA, Fachschaften und Basisgruppen, studentischen Hochschulgruppen sowie antifaschistischen und antirassistischen Initiativen mobilisierte zu Gegenprotesten, um gemeinsam ein Zeichen gegen die Law-and-Order-Politik des niedersächsischen Abschiebe- und Innenministers zu setzen. Mittels einer symbolischen Menschenblockade vor dem Eingang der RCDS-Veranstaltung wurde gegen die von Schünemann und Kruse betriebene reaktionäre Politik protestiert.
All dies war den beiden Herren offenbar ein Dorn im Auge, so dass sie ein größeres Polizeiaufgebot gegen die Protestversammlung in Stellung brachten. Zum Einsatz kam dabei auch die seit Anfang 2012 in Göttingen stationierte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), die mittlerweile für ihr unverhältnismäßiges und brutales Vorgehen bekannt ist. Wie u.a. in einem Fernsehbeitrag des NDR über den Polizeieinsatz zu sehen war, stürmte diese geschlossene Polizeieinheit ohne äußeren Anlass in die vor dem Hörsaal friedlich versammelte Menschenmenge und traktierte die Anwesenden mit Knüppeln, Faustschlägen und Tritten. Hierbei erlitten mehrere Demonstrierende Verletzungen. Sämtliche vor dem Hörsaal befindlichen Personen wurden unter polizeilichem Gewalteinsatz aus dem Uni-Gebäude getrieben. Die losgelassene BFE-Einheit setzte somit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit faktisch außer Kraft.
Bei der Abfahrt des Ministers im Dienstfahrzeug kam es auf dem Uni-Campus erneut zu unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen gegen spontane Sitzblockaden. Personen, die sich vor dem Fahrzeugkonvoi auf die Straße setzten, wurden dabei mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt entfernt. Insgesamt sind mehrere Strafverfahren gegen Demonstrierende eingeleitet worden. Einige vom Polizeieinsatz Betroffene haben ihrerseits Anzeigen gegen Polizeibeamte gestellt.
Während einer Demonstration am 10. März 2012 in der Göttinger Innenstadt anlässlich des Internationalen Frauenkampftags wurde ein Göttinger Antifaschist von der Polizei angehalten, seine Personalien wurden festgestellt und ihm wurde eröffnet, dass ein Verfahren anlässlich des Schünemannbesuchs vom 10.01.2012 gegen ihn laufe. Konkret lautet der Vorwurf auf Widerstand gegen die Polizei sowie Körperverletzung an einem Polizisten. Im Juli 2012 wurde ihm ein Strafbefehl über 50 Tagessätze á 15 EUR (also insg. 750 EUR) zugestellt, gegen den er Widerspruch eingelegt hat.
 
Am Donnerstag, dem 20.09.2012 fand nun der Prozess gegen den Antifaschisten vor dem Amtsgericht Göttingen statt. Er endete mit einem Freispruch in allen Punkten der Anklage.

Quelle: SDAJ Göttingen

Mittwoch, 18. Juli 2012

Buchempfehlung: GefängnisTagebuch



Kurt Fritsch, Walter Timpe (Hg.)

GefängnisTagebuch

Politische Gefangene in Hannover 1950-51

Dieses 74-seitige handschriftliche Tagebuch wurde in den Jahren 1950 und 1951 von KPD-Funktionären im Gefängifiis Hannover geschrieben. Lange vor dem KPD-Verbot 1956 wurden Antifaschisten in diesen Jahren inhaftiert, weil sie gegen die Zerstörung der Salzgitter Stahlwerke und die Zerstörung der Druckmaschine der kommunistischen Zeitung demonstrierten. Das Tagebuch wurde Mitte Mai 2002 dem lang jährigen politischen Häftling unter Hitler und Adlfitruer, Kurt Baumgarte, in seiner Wohnung von einer ihm unbekannten Person überbracht. Erst im Juli 2002 gelang es, diese Person zu ermitteln, es war ein 89-jähriger ehemaliger Beamter der niedersächsischen Justiz, der früher in mehreren regionalen Haftanstalten; auch im Justizministe­rium, tätig gewesen war. Über die Gründe für den langjährigen Besitz und die jetzige Übergabe äußerte er sich nicht. Zu vermuten bleibt, dass er es an sich genommen hat, um es vor der verordneten Vernich­tung zu bewahren und um es nun, im hohen Alter, seinen rechtmäßigen Eigentümern wieder zu übergeben, getreu dem Hinweis: „Dieses Buch ist Eigentum der Arbeitsgemeinschaft deutscher Patrioten".

2003, Kart., 140 Seiten

über die IROKK zum Sonderpreis von 5,00 EUR bestellbar.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Staatliche Willkür

Opfer der Berufsverbote protestieren heute in Berlin gegen ihnen zugefügtes Unrecht. Gespräche mit Linksfraktion und Grünen im Bundestag. Kanzlerin hat keine Zeit

Von Markus Bernhardt in jungeWelt 14.06.2012

Das dunkle Kapitel der Kommunistenverfolgung in der BRD ist noch immer nicht abgeschlossen. Während etablierte Politik und Medien heutzutage mittels »Extremismusdoktrin« versuchen, Neonazis und ihre entschiedensten Gegner – nämlich Antifaschisten und Linke aller Couleur – gleichzusetzen, ist den Tausenden Opfern der vom SPD-Politiker und früheren Bundeskanzler Willy Brandt eingeführten staatlichen Berufsverbotspraxis bis heute keine Gerechtigkeit widerfahren. Unter dem Vorsitz Brandts hatte die Ministerpräsidentenkonferenz am 28. Januar 1972 den sogenannten Radikalenerlaß beschlossen, um dafür zu sorgen, daß angebliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden.

Insgesamt etwa 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in den vergangenen 40 Jahren vom Verfassungsschutz durchleuchtet. Es kam insgesamt zu rund 11000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Vor allem Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), aber auch Aktivisten der Friedens- und Ökologiebewegung sowie Gewerkschafter fielen der antikommunistischen Gesinnungsschnüffelei zum Opfer. Die Betroffenen wurden bis heute nicht rehabilitiert, geschweige denn für das ihnen zuteil gewordene Unrecht entschädigt.

Um auf letzteres aufmerksam zu machen, wird eine Delegation von Berufsverbotsopfern am heutigen Donnerstag versuchen, der in Berlin tagenden Ministerpräsidentenkonferenz eine Protestnote zu überreichen. In der fordern über 250 Opfer des »Radikalenerlasses« ihre Rehabilitierung. Außerdem ist zwischen 15 und 16 Uhr eine Kundgebung vor dem Kanzleramt geplant. Dort soll versucht werden, die gesammelten Unterschriften zur Aufhebung der Berufsverbote zu übergeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht sich allerdings nicht in der Lage, die Aktivisten zu empfangen, wie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) der Initiative bereits im Vorfeld mitteilte.

Gesprächsbereit geben sich hingegen die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Diese haben Vertreter der Initiative zu politischen Gesprächen in den Bundestag eingeladen. Zu Beginn der Zusammenkunft mit der Linksfraktion ist außerdem die Übergabe einer Petition der Initiativgruppe an die Petitionsausschußvorsitzende Kersten Steinke (Linke) geplant.

»Mit dem Kampfbegriff der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ wurden mißliebige und systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gerückt und in der Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Organisationsfreiheit behindert«, erinnerte Klaus Lipps, Mitglied der »Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlaß« und selbst Berufsverbotsopfer, am Mittwoch gegenüber junge Welt. Es gelte daher, dafür Sorge zu tragen, daß das Thema in der öffentlichen Diskussion bleibt. Betroffene der antikommunistischen Willkürmaßnahmen rief der Pädagoge dazu auf, »Einsicht in die bei den Behörden über sie gespeicherten Daten, die bekanntlich in fast allen Fällen die Grundlage für die Berufsverbotsmaßnahmen bildeten, zu verlangen«.

Klaus Lipps wird heute Abend in der jW-Ladengalerie (Torstraße 6 in Berlin-Mitte) zugegen sein, wenn dort ab 19.30 Uhr eine polithistorische Revue unter dem Motto »40 Jahre Radikalenerlaß – ein abgeschlossenes Kapitel im ›Land der Freiheit‹?« stattfindet. Dabei werden mehrere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus acht Bundesländern über die ihnen zugefügten staatlichen Willkürmaßnahmen berichten, darunter auch Silvia Gingold, Tochter der antifaschistischen Widerstandskämpfer Peter und Etti Gingold.


Donnerstag, 10. Mai 2012

Es war Mord! - zum 60. Todestag von Philipp Müller

Philipp_Mueller_demo_essen_2002_uzÜber 30 000 junge Menschen waren am 11. Mai 1952 nach Essen gereist, um gegen die Wieder-bewaffnung der Bundesrepublik und die Einbindung in ein westliches Verteidigungsbündnis zu demons-trieren. Menschen, die die Schrecken des Krieges miterlebt hatten und für eine friedliche Entwicklung in Deutschland eintraten. Die Karawane war für West- und Ostdeutschland geplant und die Sowjetunion hatte in eindringlichen Noten darauf hingewiesen, dass die Wiederaufrüstung die Spaltung Deutschlands zementieren würde.
So waren es nicht nur die Kommunisten und die Freie Deutsche Jugend, die diese Karawanen unterstützten, sondern viele christliche und sozialdemo-kratische Jugendorganisationen unterstützten sie ebenfalls. Vertreter der Bekennenden Kirche und andere Friedenskräfte stellten sich als Moderatoren zur Verfügung. Das alles passte jedoch nicht in das Konzept von Bundeskanzler Adenauer, der lieber „das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb“ wollte.
Am 10. Mai verbot die NRW-Regierung mit fadenscheinigen Begründungen die Veranstaltung und beorderte ein Großaufgebot von Bereitschaftspolizei nach Essen. Diese waren auf harten Einsatz getrimmt, um mit allen Mitteln Demonstrationen zu verhindern. Nicht nur mit Schlagstöcken wurde auf die Jugendlichen brutal eingeschlagen, sondern es gab auch den Befehl, von Schusswaffen Gebrauch zu machen. Der Anmelder der Essener Veranstaltung, Arnold Haumann, Student der Theologie, späterer Pfarrer, schreibt dazu in seinen Erinnerungen „Gott mit uns“: „Einige unserer Jugendlichen sind bereits so verletzt, dass sie mit Krankenwagen abtransportiert werden müssen. Plötzlich werden aus der Menge Steine geworfen. Sofort gibt ein Polizeioffizier den Schießbefehl. Es wird gezielt in die Menge geschossen, nicht nur in die Luft. Tödlich getroffen, und zwar in den Rücken, wird Philipp Müller, ein Jugendlicher aus München. Mehrere sind verletzt.“ Und Herbert Mies, der in Essen dabei war, beschreibt in seinen Erinnerungen, dass außer dem Münchener Jungkommunisten zwei weitere Jugendliche aus Münster und Kassel lebensgefährlich verletzt wurden.
Philipp Müller ist das erste Todesopfer des Kalten Krieges. Ein später eingeleitetes Verfahren zu diesem Mord verläuft im Sande. Dafür wurden gegen viele Jugendliche Haftstrafen verhängt, hier handelte es sich gezielt um Mitglieder der FDJ.
Dem Resümee von Arnold Haumann möchte ich nichts hinzufügen: „Die makabere Frage bleibt unklar – obwohl es nach meiner Erfahrungen in den letzten Jahren nahe liegt – ob der Schuss auf Philipp Müller doppelt gezielt war, auf den Teilnehmer [der Karawane] und insbesondere auf ihn als Mitglied der verbotenen FDJ“

Kommentar von Peter Dürrbeck, Mitglied der IROKK, in der UZ vom 11.05.12, Foto: UZ

Aktionen zum 60. Todestag von Philipp Müller

Zu Philipp Müllers 60. Todestag hat sich in Essen ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen gegründet, das in mehreren Aktionen an Philipp Müller und sein Anliegen erinnern will. In einem Aufruf heißt es:
„Wogegen Philipp Müller auf die Straße ging, ist eingetreten: Die Bundeswehr war beteiligt am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, sie führt seit zehn Jahren Krieg in Afghanistan. Deutschland ist beim Kriegstreiben in aller Welt mit von der Partie. Der Rüstungsetat der Bundesrepublik ist der zweitgrößte Haushaltsposten. Deutsche Rüstungsfirmen verkauften 2011 Waffen und Kriegsgerät für 2,1 Milliarden Euro ins Ausland – Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen und heizt damit weltweit Krisen und Kriege an.“

Veranstaltungen in Essen:

11. Mai 2012
17.30 Uhr, Kranzniederlegung Rüttenscheider Brücke

19.00 Uhr, Beats against militarism!
Gedenkkonzert für Philipp Müller, Weststadthalle


12. Mai 2012
11.00 Uhr
Gedenkdemonstration für Philipp Müller
Rüttenscheider Brücke

Justizunrecht im Kalten Krieg


Hätte dieser Prozeß vor einem Gericht der DDR stattgefunden, die Öffentlichkeit wäre mit gruseliger Berichterstattung über einen «typisch kommunistischen Schauprozeß« auf die Straße getrieben worden. So aber ... So aber fand das Verfahren unter weitgehender Nichtbeachtung durch die bundesdeutschen Medien statt, und wer sich heute um Einsicht in die betreffenden Justizakten bemüht, wird amtlich informiert, daß sie «nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet« worden sind.
Aus der Versenkung der so lupenreinen Vergangenheit der freiheitlich-demo­krati­schen Grundordnung hat Friedrich-Martin Balzer das Verfahren mit dem Band «Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60« verdienstvollerweise in Erinnerung geholt. Für diesen Prozeß vom 10. November 1959 bis zum 8. April 1960, dem Tag der Urteilsverkündung gegen sechs Mitglieder des Friedenskomitees der Bundesrepublik, wurde der auf Grundlage des «Blitzgesetzes« von 1951 auch beim Düsseldorfer Oberlandesgericht gebildeten Politischen Sonderstrafkammer ein eigenes Gericht beigeordnet. «Der bedeutungsvollste politische Strafprozeß seit Bestehen der Bundesrepublik wurde somit von einer Sonderkammer der Düsseldorfer Sonderstrafkammer verhandelt«, beschreibt Diether Posser, der in diesem Verfahren als Verteidiger mitgewirkt hat, den einmaligen Vorgang. Der Spiegel schrieb 1961 vom «bislang ungewöhnlichsten politischen Strafprozeß«, der «das Elend der politischen Justiz im liberalen Rechtsstaat erhelle«.
Der Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation« beschuldigt wurden in einer nach sieben Jahren dauernden Ermittlung fertiggestellten und 243 Seiten umfassenden Anklageschrift: Pastor Johannes Oberhof, Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg, Erwin Eckert, von der evangelischen Kirche nach seinem Eintritt in die KPD seines Pfarramtes enthoben, wegen Widerstand gegen den Faschismus 1936 zu drei Jahren und acht Monate Zuchthaus verurteilt, Walter Diehl, Sprachwissenschaftler, gläubiger Christ, Gerhard Wohlrath, Kommunist, 1933 der Festnahme durch Emigration entkommen, Mitglied der Internationalen Brigaden im spanischen Freiheitskampf, Gustav Thiefes und Erich Kompalla, beide Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, Kompalla in den Reihen der Waffen-SS, beide zu Kriegsgegnern geworden.
Diese sieben also, vier Kommunisten darunter, waren angeklagt, im am 5. Mai 1949 in Bonn gegründeten Friedenskomitee der BRD als Rädelsführer gewirkt und versucht zu haben, durch Schriften, Reden u. a. gegen die Wiederaufrüstung, für einen Friedensvertrag und Verhandlungen mit der DDR und der Sowjetunion, auch durch die Teilnahme an internationalen Kongressen der Friedensbewegung beabsichtigt zu haben, die verfassungsmäßige Grundordnung der BRD zu beseitigen, außer Geltung zu setzen... Der UNO hätten sie den Garaus machen wollen.
Die Angeklagten und ihre vier Verteidiger, Diether Posser, Heinrich Hannover, Walther Ammann und Friedrich-Karl Kaul, sowie der Reporter der DDR-Zeitung Wochenpost, Rudolf Hirsch, kommen in Balzers Band zu Wort. Jeder betrachtet unter einem speziellen Gesichtspunkt den Verlauf dieses Verfahrens. Diether Posser spricht von den «das Gesinnungsrecht offen praktizierenden Begründungen«, mit denen das Gericht in Serie das Vorbringen von Anträgen und Dokumenten der Beschuldigten ablehnte. Heinrich Hannover erinnert sich, wie seinem Kollegen Posser darob vor dem Gericht der Kragen platzte:
«Wenn Sie alle unsere Beweisanträge zurückweisen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Anwälte als rechtsstaatliches Dekor zu mißbrauchen.«
Bei Walther Ammann, der schon als Verteidiger vor faschistischen Sondergerichten gewirkt hatte, verursachte der vom Gericht eingeführte Begriff von der «offenkundigen Wahrheit« der Regierungspolitik, die damit unangreifbar ist, „einen bitteren Geschmack auf der Zunge, weil sich die Parallele zu einer gewissen Spruchpraxis des Dritten Reiches abzuzeichnen schien“.
…Der Sinn des Prozesses? «Außerdem muß ich die Angeklagten, deren Strafe ausgesetzt ist, darüber belehren, daß bei einer Aussetzung davon ausgegangen ist, daß sie sich in Zukunft ruhig verhalten.«
Das Buch ist ein eindringliches Plädoyer für die überfällige Rehabilitierung der noch lebenden Opfer der politischen Justiz in der Bundesrepublik jener Jahre. Es sollte zur Pflichtlektüre für angehende Juristen und all diejenigen werden, deren geschichtsbetrachtender Blickwinkel für die Jahre 1945 bis 1998 einzig auf das Stück Deutschland zwischen Elbe und Oder begrenzt ist.

Hans Daniel in: Junge Welt vom 27.03.2006, Feuilleton, Seite 15

Weitere Kommentare zu diesem Prozeß auf der Seite von Friedrich-Martin Balzer

Mittwoch, 9. Mai 2012

Eine Gedenkstätte im Stillstand

So lautet die Überschrift eines Artikels in der Zeitschrift ossietzky vom 14. April 2012.
Der Autor Dr. Helmut Kramer aus Wolfenbüttel weiß genau, wovon er spricht: Dr. Kramer hat jahrelang im Auftrage der niedersächsischen Justizministerin Heide Merk (SPD) über die Haftanstalt Wolfenbüttel geforscht. Dr. Kramer war Richter am Oberlandesgericht in Braunschweig und hat bei seiner Forschungsarbeit über die Justiz in der Nazizeit zum Beispiel einen Prozess gegen eine Braunschweigerin, die wegen Plünderung hingerichtet wurde, erneut aufgerollt und erreicht, dass diese Frau postum freigesprochen wurde. Also lieferte er damit einen Beweis für die mörderische Justiz des sogenannten Dritten Reichs.

Aber Dr. Kramer leistete noch mehr, er erforschte, dass in der im März 1937 eingerichteten Hinrichtungsstätte im Gefängnis Wolfenbüttel in der NS- Zeit über 650 Menschen unter dem Fallbeil oder am Galgen starben. Ausländische Widerstandskämpfer, Wehrmachtsdeserteure und „Wehrkraftzersetzer“, verschleppte Zwangsarbeiter, Sinti und Roma und „Volksschädlinge“. In Gesprächen machte er immer deutlich, dass die Zahl der Umgekommenen wahrscheinlich wesentlich höher liegt und weiter geforscht werden müsste. Wie schon der obenerwähnte Fall der Braunschweigerin zeigt, nannte er nicht nur die Opfer sondern auch die Täter dieses mörderischen Systems. Und es kam wie nicht anders zu erwarten, bei diesen Untersuchungen heraus, dass in der Zeit des Kalten Krieges in diesem Gefängnis Menschen inhaftiert waren, die durch politische Strafjustiz in Niedersachsen verurteilt worden sind. Viele FDJler, KPD- Funktionäre, Mitglieder von Organisationen wie Freie Wählervereinigungen oder der Arbeitsgruppe „Für demokratische Rechte“ oder DDR- Bürger die im Auftrage von ihren Organisationen in die Bundesrepublik gefahren waren, um zu gesamtdeutschen Gesprächen einzuladen. Redakteure der niedersächsischen Tageszeit der KPD „Neue niedersächsische Volksstimme“ waren unter den Verfolgten schon vor dem KPD- Verbot. Unter diesen Verfolgten auch Genossen, die schon in der Nazi- Zeit in KZ`s und Gefängnissen inhaftiert waren. August Baumgarte (Hannover), Richard Brennig (Peine) und August Stein (Osterode) waren zum Beispiel unter den Gefangenen in der Zeit des Kalten Krieges.

Auf Anregung von Dr. Kramer sollte auch in einer Ausstellung an diese Genossen erinnert werden. Auch hier nannte Helmut Kramer Verfolgte und Verfolger. Die meisten der Verfolgten im Kalten Krieg waren in Lüneburg von der politischen Sonderkammer verurteilt worden. Und an diesem Gericht waren besonders viele NS- Richter und Staatsanwälte tätig. Berühmt berüchtigt war der Oberstaatsanwalt  Dr. Karl Heinz Ottersbach, der in den Kriegsjahren in Polen seinen Beitrag zu  Unrechtsurteilen leistete. Er war nicht der einzige furchtbare Jurist, der an der Sonderkammer tätig war. In einer Landeswanderausstellung über NS- Verfolgung sind solche eklatanten  Beispiele vor Jahren auch genannt. Allerdings ist weder vom Landesjustizministerium nicht weiter daran gearbeitet worden, noch ist die Ausstellung in Landesgedenkstätte Wolfenbüttel ergänzt worden.

Bei einem kurzen Gespräch in der KZ- Gedenkstätte in Moringen hat mir (P.D.) der Leiter der niedersächsischen Gedenkstätten, Dr. Habbo Knoch, auf meine Frage, wie es weiter ginge mit Wolfenbüttel, geantwortet, dass ein Konzept erstellt werden solle. Das ist aber inzwischen drei Jahre her. Helmut Kramer merkt in seinem Artikel an, dass er ein Opferschicksal aufgearbeitet hat: Moritz Klein wurde 1942 in Wolfenbüttel hingerichtet unter fadenscheinigen und fehlerhaften Begründungen wurde er auf Grund einer zweifelhaften Beweisführung verurteilt.

„Er war der letzte Jude in Helmstedt, das nach Willen fanatischer Nationalsozialisten und angepasster Richter „judenfrei“ werden sollte“, schreibt Helmut Kramer. Und er nennt auch hier den Täter, der nach 1945 straffrei blieb.

Im Weiteren nennt dann Dr. Kramer einen anderen Täter hohen Ranges, der nach 1945 wieder zu hohen Richterehren kam. 1950 Richter am Bundesgerichtshof und ab 1955 war Werner Hüllen Präsident des Oberlandesgerichts Oldenburg (i.O.).  64 seiner Opfer sind in Wolfenbüttel hingerichtet worden. Sein Name tauchte in der oben erwähnten Landesausstellung schon auf, wurde aber aus der Ausstellung in Wolfenbüttel getilgt.

Das alles macht deutlich, wie in der Gedenkstätten Politik eine Rolle rückwärts praktiziert wird und demokratische Ansätze verschwinden sollen.

Peter Dürrbeck, Göttingen April 2012           

Freitag, 4. Mai 2012

IROKK-Button zum Philipp-Müller-Gedenken 2012


Gegen Solispende in der Geschäftsstelle der IROKK oder vor der Gedenkdemonstration am 12. Mai in Essen erhältlich.

Samstag, 28. April 2012

18. April 1947 - Bomben auf Helgoland – Die KPD leistet Widerstand


Helgoland sollte nach dem Willen der Briten für alle Zeit im Meer versenkt und damit als militärischer Stützpunkt vernichtet werden. Mit einer gewaltigen Explosion unter Verwendung hunderter von Tonnen Sprengstoff wurden am 18. April 1947 alle militärischen Einrichtungen der Insel gesprengt. Der rote Felsen wankte, aber er blieb stehen. Dann wurde Helgoland von der Royal Air Force als Bombenübungsplatz genutzt.
Die Insel Helgoland, die seit Urzeiten als Schutzhafen für Fischer und gestrandete Seefahrer diente, konnte unter den Bedingungen der ständigen Bombenabwürfe nur noch unter größter Lebensgefahr für Leib und Seele angelaufen werden. Die Unzufriedenheit unter den Fischern, Seeleuten und der Bevölkerung nahm daher von Monat zu Monat zu.
Besonders die vertriebenen Helgoländer wurden aktiv und appellierten schon 1948 mit einer Unterschriftensammlung an die UNO, die Briten und die deutschen Behörden. Sie forderten: Einstellung der Bombardierung, Freigabe Helgolands und Rückkehr aller ehemaliger Inselbewohner. Ihr Appell blieb leider bei den Offiziellen ungehört. Die Adenauer-Regierung schwieg! Sie machte sich Liebkind bei den Westmächten und erkaufte sich Wohlwollen bei der Verfolgung eigener Aufrüstungspläne. Später stellte sich heraus, dass Adenauer hinter dem Rücken des Parlaments mit den Westmächten solche Pläne geschmiedet und dann ja auch verwirklicht hat.
Die Stimmung und Protestbewegung zur Befreiung und friedlichen Wiederansiedlung Helgolands in der Bevölkerung weitete sich aus. Helgoland als friedlicher Wohnort, als Schutz- und Ferienort sollte wieder errichtet werden. Das war die gängige Meinung nicht nur bei den Einheimischen, sondern auch in breiten Teilen der Bevölkerung. Bei der jungen Generation war der Gedanke populär, jetzt endlich zur Tat zu schreiten. Aber mit der Aktion der beiden Heidelberger Studenten, die im Dezember-Januar 1950/51 auf der Insel die Europa-Fahne hissten, und einer Unterstützung durch Prinz Hubertus zu Löwenstein war es nicht getan. Im Einvernehmen mit den Briten und freundlicher Begleitung durch die bestellte Presse verließen sie die Insel. Eine neue Militärverordnung, wonach jede weitere Besetzung Helgolands mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden konnte, wurde von ihnen widerspruchslos hingenommen.
Nicht hingenommen wurde sie bei Fischern, Seeleuten und einer politisch engagierten Jugend. Ich war damals Leiter der FDJ-Gruppe in Wedel, einer Stadt im Kreis Pinneberg, die viele Helgoländer Familien aufgenommen hatte. Helgoland war oft ein Thema auf unseren Gruppenabenden. Wir sahen die Bombardierung als Teil des Säbelrasselns gegen die Sowjetunion und die DDR im ständig sich verschärfenden kalten Krieg. Verhinderung der Remilitarisierung, die friedliche Einheit Deutschlands war unser Anliegen.

Es war aber auch ein Anliegen der KPD und ihrer Abgeordneten. Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte solidarisierten sich mit der Antikriegsbewegung. Auf einer Funktionärskonferenz der FDJ in Hamburg nahm mich der damalige Landesvorsitzende der FDJ und der zu dieser Zeit jüngste Bürgerschaftsabgeordnete Kurt Erlebach zur Seite und fragte mich, ob wir in unserer Gruppe in Wedel einen Jugendlichen hätten, der die Leitung einer Landungsgruppe auf Helgoland übernehmen könnte. Ich machte eine vage Zusage und sprach danach mit Hans-Peter Götsche, der in Wedel wohnte, Kunststudent war und häufig als Gast an unseren FDJ-Gruppenabenden teilnahm. Er sagte sofort zu. Danach ging alles sehr schnell. Es wurden auch Teilnehmer aus Kiel, Haselsteck und Braunschweig für die geplante Überfahrt nach Helgoland gewonnen. Alle Teilnehmer wurden bis zur Überfahrt am 23. Februar 1951 bei meinen Eltern untergebracht. Kapitän Hülse, der ebenfalls gegen die Bombardierung der Insel war, steuerte die Gruppe mit seinem Fischerboot sicher nach Helgoland, wo die Gruppe als Erstes die Weltfriedensfahne mit der berühmten Picasso-Taube hisste und zur Solidarität mit den Helgoländern aufrief. Nach vier Tagen Besetzung der Insel wurden die sieben Teilnehmer der Besetzergruppe von britischen Besatzungssoldaten verhaftet und in das Gefängnis nach Lübeck gebracht. Hier wurden sie in einem Prozess der britischen Militärverwaltung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Nach der erfolgreichen Landung der FDJler, die von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt wurde, erfolgten im gleichen Jahr weitere Landungen mit insgesamt 99 Jugendlichen. Auch diese wurden verhaftet und zu insgesamt 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Der anhaltende Widerstand zwang die Militärbehörden schließlich zum Einlenken. So wurde die Insel im März 1952 freigegeben. Die Bombardierungen wurden eingestellt und die Helgoländer konnten auf ihre Insel zurückkehren.
Die Bundesregierung und ihre Verfolgungsorgane erhöhten dagegen den Druck auf die antimilitaristisch gestimmte FDJ. Sie wurde kurzerhand verboten und 1953 ihre gesamte Führung verhaftet. Im Prozess gegen die FDJ und ihrem damaligen Vorsitzenden, Jupp Angenfort, wurde ich von den Verteidigern als Zeuge vor das Bundesgericht in Karlsruhe geladen. Ich wollte über die Friedensaktivitäten der FDJ sprechen, wobei mein besonderes Anliegen die aktuelle Freigabe Helgolands und der Beitrag der jungen Generation dazu war. Das Gericht lehnte meine Zeugenaussage dazu kategorisch ab. Jupp Angenfort wurde in diesem Prozess zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.


Ewald Stiefvater


(Leicht gekürzt aus den „Mitteilungen der Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges – Niedersachen“ vom November 2008)

Samstag, 21. April 2012

Der Prozess gegen das Friedenskomitee der BRD

Auch das gehört zur Geschichte der Bundesrepublik


Die Mitglieder des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland -
Bildnachweis: VVN-BdA Bochum
Am 8. April 1960 fand ein Prozess der bundesrepublikanischen Schande sein Ende. Die politische Sonderkammer des Landgerichts Düsseldorf sprach am 56. Verhandlungstag, das Urteil gegen sechs führende Mitglieder des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland. Das waren : (1) der Pfarrer i. W. Johannes Oberhof, (2) der frühere Pfarrer Erwin Eckert, (3) der Diplomdolmetscher Walter Diehl, (4) der Gärtnereibesitzer Gerhard Wohlrath, (5) der kaufmännische Angestellte Gustav Thiefes, (6) der Versicherungsangestellte Erich Kompalla.

Walter Diehl wurde zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil wurde im Revisionsverfahren auf 9 Monate Gefängnis (auf Bewährung) reduziert. Erich Kompalla erhielt eine Geldstrafe von DM 500. Die anderen erhielten Gefängnisstrafen zwischen 9 und 3 Monaten auf Bewährung.

Angeklagt war auch die frühere Münchener Stadtverordnete Edith Hoereth-Menge. Gegen ihren Protest wurde sie von der Sonderkammer des LG aus Gesundheitsgründen von der Teilnahme am Prozess ausgeschlossen. Sie war Mitglied des Weltfriedensrates und maßgeblich daran beteiligt, dass es für den Stockholmer Appell zur Ächtung der Atomwaffen eine starke Beteiligung aus der Bundesrepublik zur weltweiten Sammlung von über 500 Millionen Unterschriften gab.

Erwin Eckert und Gerhard Wohlrath waren bereits wegen ihres Kampfes gegen Krieg und Faschismus von der Nazijustiz verfolgt.

Über Menschen wie sie schrieb Heinrich Hannover im Vorwort zum Buch Rolf Gössners "Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs" u. a.: Zu ihnen gehörten "Menschen, denen zweimal in ihrem Leben Justizunrecht zugefügt worden ist, das erste Mal von Hitlers Nazijustiz und das zweite Mal von Richtern, die den Eid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geleistet hatten. Und oft genug waren es Richter, deren erster Treueschwur dem Führer Adolf Hitler gegolten hatte. Sie brauchten als Waffenträger des Kalten Krieges nur geringfügig umzulernen. Den Feind kannten sie schon." Hier bezog sich Hannover wohl auf den CDU-Bundestagsabgeordneten Hassler, der im Bundestag vom 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951, dem "Blitzgesetz" sagte, es sei eine Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen. Denn die Anklageschrift stützte sich eben auf dieses Blitzgesetz, das nach seiner Verabschiedung 1951 bis zum 8. Strafrechtsänderungsgesetz von 1968 zu einer Quelle zehntausendfachen politischen Unrechts wurde.

Die Anklageschrift war vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Dr. Max Güde erstellt worden. Gegen seinen Widerstand hatte der BGH die Verhandlung der Anklage an das LG Düsseldorf abgegeben. Die Anklageschrift stand unter dem Zeichen 1 StE 1/58 - (StE 159/52)

Doch das LG Düsseldorf verhandelte ganz auf der von der Anklage vorgegebenen Linie. Und das war der Antikommunismus und Antisowjetismus. Jegliche Kritik an der Politik der CDU und der CDU-geführten Regierung wurde als Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewertet. Da hatte Adenauer an Ludwig XIV. und seinen Ausspruch angeknüpft: "Der Staat, das bin ich." Wer sich danach nicht richtete, bekam es mit dem juristischen Knüppel des Adenauerstaates zu tun. Das prägte dann auch den ganzen Prozessverlauf. Da saß nicht nur das Friedenskomitee auf der Anklagebank, sondern gleich der ganze Weltfriedensrat, an dessen Arbeit einige der Angeklagten führend teilgenommen hatten. Da auch die KPD vor und selbstverständlich auch nach dem Verbot eine Politik der Friedenssicherung für unser Land verfolgte, wurde dann auch stets vom kommunistischen Friedenskomitee gesprochen. Und der Regierung der Sowjetunion wurde unterstellt, sie wolle den Weltfriedensrat in eine "kommunistische UNO" umgestalten. (Anklageschrift Seite 10, 1. Abs.) Der Angeklagte Eckert habe in einem Rundschreiben vom 21. 9. 1951 Bundeskanzler Adenauer vorgeworfen, er habe US-amerikanische Kriegspläne nachdrücklich begrüßt (Anklageschrift Seite 21 unter 5.). Da hatte der Herr Generalbundesanwalt wohl die Tatsache verdrängt: "Als Bundeskanzler Adenauer im August 1950 den Westmächten anbot, ein Kontingent westdeutscher Soldaten für eine "Europa-Armee" aufzustellen, trat Innenminister Heinemann aus Protest dagegen zurück und legte in einem Memorandum vom 13. 10. die politischen Gründe dafür dar, weshalb er Adenauers Initiative für verfehlt hielt." (Gustav Heinemann "Einspruch - Ermutigung für entschiedene Demokraten", Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger 1999, Seite 110 ff.) Als Zeuge der Verteidigung sagte Dr. Dr. Gustav Heinemann im Prozess aus, was aber vom Gericht nicht berücksichtigt, wurde. Die Ursache dafür lag wohl auch darin, dass bei Prozessbeginn sein Ausgang bereits festlag: Alle Personen, die sich für den Frieden einsetzen, zu diffamieren und die Friedenskomitees aller Ebenen in der BRD zu diskreditieren, um Menschen von der Betätigung für die Ziele der Friedensbewegung abzuhalten, um auch den letzten Widerstand gegen die Adenauersche Kriegspolitik zu brechen.

Die Anklageschrift unterstellt entgegengesetzt der Wahrheit auf Seite 2 ff. "in Düsseldorf und anderen Orten im In- und Ausland seit 1951 (das Friedenskomitee wurde 1949 im Bonner Rathaus gegründet, aber 1951 wurde das Blitzgesetz verabschiedet, das die juristischen Gründe für diesen Prozess wie für Zehntausende andere abgab) fortgesetzt und gemeinschaftlich durch dieselbe Handlung a) die Bestrebungen einer Vereinigung, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, als Rädelsführer gefördert zu haben, b) an einer Verbindung teilgenommen zu haben, deren Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll, und zwar als Vorsteher. (...) Die Anklageschrift entlarvt die Geheimhaltungsabsicht selbst als eine Unterstellung, die diffamieren soll. Im Abschnitt "V. Publizistische Tätigkeit der Friedensorganisationen" nimmt die Aufzählung der Publikationen 70 Seiten ein. Wer macht sich eine solche Arbeit, wenn er Geheimhaltung beabsichtigt?

In dem von Friedrich-Martin Balzer herausgegebenem Buch "Justizunrecht im Kalten Krieg - Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozess 1959/60" (Papy Rossa, Köln 2006) schreibt Walter Giehl am Ende seines Beitrags: "Eine Nachbemerkung fürs Heutige: Exekutive und Justiz der alten Bundesrepublik waren wahrlich keine Gralsritter mit weißem, unbeflecktem Schild. Wer arbeitet die ´Altlasten´ dieser Republik auf?" Wir, die Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, haben in den vergangenen 20 Jahren dazu mancherlei - auch parlamentarische - Anstöße gegeben. Zunehmend wird dazu auch unser Archiv, das wir mühsam zusammengetragen haben, für verschiedene Zwecke genutzt.

Doch auch der damalige Generalbundesanwalt Güde hat wohl auch aus den Erfahrungen dieses Prozesses Schlussfolgerungen gezogen. Die Güde-Titelgeschichte im Spiegel vom 5. August 1961 machte das publik. Mit Blick auf den Prozess gegen das Friedenskomitee der BRD schrieb die Redaktion kommentierend: "Staatsanwaltschaft und Gericht operierten mit dem deutschen Recht fremden Begriff der ´Kontaktschuld´. So wie in der griechischen Sage der phrygische König Midas alles, was er berührte, in Gold verwandelte, so wurde alles, was Kommunisten unterstützten, sofort verfassungsfeindlich. Das war die Faustregel der Urteilsfindung." Doch Güde spitzte seine Kritik gemessen an der Vergangenheit zu. Und der Höhepunkt war die Feststellung: "Die heutige politische Justiz judiziert aus dem gleichen gebrochenen Rückgrat heraus, aus dem das Sondergerichtswesen (Hitlers) zu erklären ist." Und den Bundestagsabgeordneten schrieb er ins Stammbuch: "Die Bundestagsabgeordneten wissen überhaupt, was sie (mit dem Ersten Strafrechtsänderungsgesetz 1951) beschlossen haben." Hinsichtlich der Äußerungen Güdes im Spiegel schrieb Diether Posser in seinem Band "Anwalt im Kalten Krieg" (Seite 257): "Auch andere Stellen dieser Güde-Titelgeschichte stimmten uns hoffnungsfroh. Für viele, gerade auch für Heinemann und mich, waren die Äußerungen Güdes wie eine Befreiung." Das Düsseldorfer Urteil vom 8. April 1960 war juristisches Unrecht. Es zeigt sich, dass das ganze Verfahren nur eingeleitet und durchgeführt wurde, um mit Hilfe der Gesinnungsjustiz unter dem Vorwand angeblich schwerer Vergehen die Betätigungsmöglichkeiten für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik einzuschränken. Die herrschenden und Regierenden wollten durch das Urteil erreichen, das sich die sechs führenden Persönlichkeiten des FK der BRD auf lange Zeit nicht politisch im Sine der Verständigung und des Friedens betätigen sollten. Das Urteil richtete sich damit gegen die Friedensbewegung in ihrer Gesamtheit.

Doch der Bereitschaft zum Engagement für den Frieden und vor allem gegen die Gefahr eines Atomkriegs wurde durch das Urteil nicht der Boden entzogen. Der "Marsch von London nach Aldermaston" wurde europaweit aufgegriffen. Ein Jahr danach, 1960, nur eine Woche nach dem Düsseldorfer Urteilsspruch, begann der erste Ostermarsch in der BRD, von Hamburg und anderen norddeutschen Städten nach Bergen-Hohne. Im Jahr darauf ging der erste Ostermarsch Ruhr von Oberhausen (Rheinland) über drei Tage durch das Ruhrgebiet nach Dortmund. In Oberhausen gingen wir mit ca. 250 Marschierern los und kamen Ostermontag mit 5 000 Teilnehmern in Dortmund an.

Die Ostermärsche wurden über Jahrzehnte zu einer Massenbewegung, mit wenn auch schwankender Beteiligung. Das zeigt: Die Idee des Friedens bleibt lebendig!

Karl Stiffel

Dienstag, 17. April 2012

Wiederholungstäter

Bild von der Trauerfeier in Seelze am 28. Juli 2006

Erinnerung an Kurt Baumgarte zum 100. Geburtstag. Der Kommunist und Widerstandskämpfer gehört zu den »­vergessenen Justizopfern des Kalten Krieges«

Von Hans Daniel, in junge Welt 18.04.2012
Aber wer weiß noch, daß es auch in der alten Bundesrepublik eine politische Justiz gegeben hat, die den Kalten Krieg im Gerichtssaal geführt und Menschen um ihre Freiheit, ihren Beruf, ihre Renten, mit einem Wort um ihr Lebensglück gebracht hat, weil ihre politische Gesinnung nicht in die antikommunistische ausgerichtete formierte Gesellschaft paßte?« So beginnt Heinrich Hannover, Rechtsanwalt und Verteidiger nicht weniger Bundesbürger, die in den Jahren von 1951 bis 1968 mit Verfahren belegt wurden, sein Vorwort zur Streitschrift seines Kollegen Rolf Gössner über »Die vergessenen Justiz­opfer des Kalten Krieges«. (Aufbau Taschenbuch Verlag 1998) Unter den rund 10000 Bundesbürgern, die durch die Politische Sonderstrafkammer zu Zuchthaus und Gefängnisstrafen verurteilt worden sind, nimmt der am 22. April 1912 in Braunschweig geborene Graphiker Kurt Baumgarte einen ganz besonderen Platz ein.

Er gehörte zu jenen Opfern, die, um noch einmal Heinrich Hannover zu zitieren, »nach einer der schäbigsten Gesetzesvorschriften, die man sich in Bonn ausgedacht hat«, den Paragraphen 6 des Bundesentschädigungsgesetzes, sogar Rentenansprüche verloren haben, »die ihnen als Wiedergutmachung für das in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslager des Hitler-Staates erlittene Unrecht zugesprochen worden waren.«

Im Februar 1935 war Baumgarte als Mitglied der KPD verhaftet worden. Am 3. April 1936 verurteilte ihn der »Volksgerichtshof«, wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu 15 Jahren Zuchthaus. Es folgten zehn Jahre Isolationshaft, unter anderem im Zuchthaus Waldheim. »Kaum nach zehnjähriger KZ- und Folterhaft befreit, ging er 1945 wieder zur KPD, wurde sogar von den Engländern in den ersten niedersächsischen Landtag delegiert«, notierte der Hamburger Spiegel über den »gefährlichen Mann mit der falschen Gesinnung«, der am 13. März 1966 zu zwei Jahren Gefängnis sowie drei Jahren Aberkennung der Bekleidung öffentlicher Ämter und Wählbarkeit verurteilt worden war. Diesmal »wegen Rädelsführerschaft in Tateinheit mit Geheimbündelei in verfassungsfeindlicher Absicht. Eine Rente, die ihm als Nazi-Verfolgten zugestanden hätte, bekam der Staatsfeind nicht.«

Weil nicht erwartet werden könne, »daß der Verurteilte in Zukunft ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen« werde, wurde eine vorzeitige Haftentlassung von der 4. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg abgelehnt. Denn der »engagierte Parteigänger der verbotenen KPD« habe sich seit seinem 14. Lebensjahr aktiv für die KPD betätigt – »unterbrochen durch die Inhaftierung in Zuchthäusern und Konzentrationslager von 1936 bis 1945 auf Grund eines Urteils des von den nationalsozialistischen Machthabern errichteten Volksgerichtshofes.« Damit stand dem Wiederholungstäter Baumgarte auch keine Rente als Opfer des Faschismus zu. Im Februar 1991 verweigerte das niedersächsische Innenministerium erneut die Zahlung der Opferrente – wiederum unter Verweis auf die Anklage der faschistischen Justiz und die »düstere« Vergangenheit Baumgartes: »Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem BEG (Bundesentschädigungsgesetz) steht ihm dagegen nicht zu. Herr Baumgarte wurde sofort nach 1945 wieder Funktionär der KPD.«

Kurt Baumgarte starb am 21. Juli 2006. Rehabilitiert wurde er nicht. Der »Rechtsstaat« hielt ihn noch bis in hohe Alter unter Kontrolle. Der Landesverfassungsschutz bestätigte ihm am 5. März 1992 vorliegende »umfangreiche Erkenntnisse«. Einen Anspruch auf Akteneinsicht bekam er nicht. Dem damals 82jährige Verfassungsfeind auf Lebenszeit wurde jedoch versichert: »Die einschlägigen Vorgänge werden fortgesetzt.«
 

Montag, 16. April 2012

Kommt zur Gedenkdemonstration für Philipp Müller !


Jugendlicher vor Essener Grugahalle von Polizei erschossen!

Am 11. Mai 1952 kamen in Essen 30.000 junge Menschen aus der ganzen Bundesrepublik zur „Jugendkarawane“ zusammen, um gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands zu demonstrieren. Regierungsbehörden verboten die Friedensdemonstration nur wenige Stunden vor Beginn und gingen mit einem riesigen Polizeiaufgebot und dem Einsatz von Waffengewalt gegen die Jugendlichen vor. Polizisten erschossen den 21jährigen Kommunisten Philipp Müller, einen Arbeiter aus München – das erste Todesopfer des kalten Krieges in Deutschland.

Wogegen Philipp Müller demonstriert hat, ist eingetreten: Die Bundeswehr war beteiligt am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, und sie führt seit 10 Jahren Krieg in Afghanistan.

Deutschland ist beim Kriegstreiben in aller Welt mit von der Partie.

Der Rüstungsetat der Bundesrepublik beträgt 2012 31,7 Mrd. € und ist der zweitgrößte Haushaltsposten. Deutsche Rüstungsfirmen verkauften 2011 Waffen und Kriegsgerät für 2,1 Milliarden € ins Ausland - Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen und heizt damit weltweit Krisen und Kriege an.

Militarisierung der Gesellschaft bedeutet neben Krieg und Aggression nach Außen auch Repression nach Innen. Das zeigt sich beim brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Teilnehmer der Demonstration gegen die jährliche Münchener NATO-„Sicherheitskonferenz“, bei der Kriminalisierung von AntifaschistInnen in Dortmund und Dresden, beim gewalttätigen Einsatz gegen die Gegner von Stuttgart 21. Und längst ist es Alltag, dass sich die Bundeswehr in Arbeitsagenturen und JobCentern, auf Jugend- und Jobmessen und in Klassenzimmern als „bombensicherer“ Arbeitgeber zur Schau stellt.

Die Jugendkarawane von 1952 wollte ein entmilitarisiertes Deutschland und damit die Lehren aus zwei Weltkriegen ziehen. Nie wieder Krieg - dieses Anliegen Philipp Müllers ist heute hochaktuell.


Kommt zur Gedenkdemonstration für Philipp Müller

12.5.2012 11 Uhr Rüttenscheider Brücke


Kommt zu Kranzniederlegung:

11. 5. 2012 17 Uhr 30 Rüttenscheider Brücke


Beats against militarism! Gedenkkonzert für Philipp Müller:

11. 5. 2012 Weststadthalle 19 Uhr

Erstunterstützer:
DKP Essen
SDAJ Essen
BSV Essen
Essener Jugendbündnis
Partei die Linke Essen
MLPD Essen
Rebell Essen
FDJ
Essener Friedensforum
Die Falken Essen
VVN/BdA Essen
IROKK
DDR-Kabinett-Bochum e.V.
Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba Essen
Rote Antifa
Essen steht Auf

Freitag, 13. April 2012

Der Rechtsstaat und sein Recht

von Dr. Robert Steigerwald
Wenn wir nicht amerikanischer als die Amerikaner arbeiten, brauchen wir gar nicht nach Karlsruhe zu fahren!« Der das sagte, war Emil Carlebach, Buchenwald-Häftling, KPD-Landtagsabgeordneter in Hessen und Mitbegründer der Frankfurter Rundschau, der kein Verehrer des »American Way of Life« war. Der ihm dabei zuhörte, war ich, zu diesem Zeitpunkt im KPD-Zentralorgan Freies Volk für die Theorieseite »zuständig«, also - es war ja noch die »Zeit Stalins«! - so ein wenig ideologischer Wachhabender.

Etwas düpiert fragte ich Emil, wohl auch mit etwas erstaunt wirkender Stimme: »Emil, wie meinst Du das?« Er hielt ein kleines Taschenbuch hoch, kleiner als DIN A6, und sagte: »Also wir gehen in den Saal, jeder mit so einem Büchlein, abwechselnd macht sich je einer von uns für eine halbe Stunde Notizen, dann verläßt er den Saal und geht zu unseren schreibenden Genossinnen. Er diktiert anhand seiner Notizen. Sie rnudeltl das ab. Es kommt der nächste Genosse, und so entsteht zu einigen Stunden des Prozeßverlaufs ein von uns verfaßter Bericht. Kommt dann die Pause, stehen wir am Saalausgang und verteilen unser rProtokolll. Könnt Gift drauf nehmen, ich kenne die Korrespondenten, sie werden sich um unser Material reißen. Wir sind schneller als alle anderen, eben amerikanischer als die Amerikaner.« So machten wir es dann.

Aber kommen wir zur Sache! Am 22. November 1951 fanden in Paris unter Teilnahme Konrad Adenauers Verhandlungen statt. Es ging unter dem Firmenschild der Bildung einer »Europäischen Verteidigungsgemeinschaft« darum, die BRD in den Westen zu integrieren und den Aufbau einer westdeutschen Armee vorzubereiten. Einen Tag darauf, am 23. November 1951, beantragte die Adenauer-Regierung beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der entschiedensten Kämpferin gegen diese Remilitarisierung unseres Landes, die KPD.

Solche terminliche Duplizität gab es beim Verbotsprozeß noch einmal: 1956 stand die Wiederwahl des damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, des erzkonservativen Dr. Josef Wintrich, auf der Tagesordnung, aber der unter seinem Vorsitz tagende Senat des Gerichts hatte die KPD noch immer nicht verboten. Da lud Bundeskanzler Adenauer - vierzehn Tage vor besagter Wahl Wintrichs - diesen Herrn zum Gespräch.

Worüber werden die beiden sich wohl unterhalten haben? Dreimal darf geraten werden, und ein Schelm ist, wer da Böses denkt. Am 17. August 1956 erklären die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Partei schließlich für verfassungswidrig und ordnen ihre Auflösung an.

Lenkende Hand der USA

Während des Prozesses wirkte der CIA-Offizier Franz von Borkenau als Berater des Prozeßbevollmächtigten der Regierung, Ritter von Lex. Und der US-Senat in Gestalt seines »Ausschusses zur Bekämpfung umstürzlerischer Tätigkeit« hatte das Material über den Verbotsantrag des amerikanischen Justizministers zur KP der USA veröffentlicht. Dieses wurde während des Verbotsprozesses gegen die KPD von der Bundeszentrale für Heimatdienst - Vorläuferin der Bundeszentrale für Politische Bildung - in deutscher Sprache verbreitet. Wir hatten davon erfahren, ich bat in einem Brief an diese Zentrale um Überreichung des Materials. Am 27. November 1954 erhielt ich einen ablehnenden Bescheid. Darin hieß es: »Bitte halten Sie uns nicht für übervorsichtig, aber mir ist bekannt, daß sich z.Zt. auch viele Kommunisten in Karlsruhe aufhalten, und ich möchte« - nun stand im Brief ursprünglich »Ihnen«, »Ihnen« groß geschrieben, also ich war gemeint, das wurde dann durchgestrichen und durch »denen« ersetzt - ich fahre fort: »...und ich möchte denen unser Material nicht schicken. Deshalb erklären Sie sich noch bitte kurz zu Ihrer Person ...« Nun, wir kamen dennoch an das Material heran.

Eingebettete Richter

Der ideologische Schein läßt viele übersehen, daß die Gesetze nicht aus einer Welt des schönen Scheins vom hohen Himmel herunterkommen: »Gesetze sind nicht freie Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die sich dem ewigen klassenlosen Ideal der Gerechtigkeit in stets wachsender Verbesserung nähern (...) Sie sind vielmehr zeitbedingte Erzeugnisse der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse, und ihr Zweck ist, diese zu sichern.« (Emil Julius Gumbel, Verräter verfallen der Feme, Berlin 1929, S. 28). Und Karl Dietrich Bracher über die politische Justiz der Weimarer Republik: »Dies alles vollzog sich hinter der Fiktion vom unpolitischen, überparteilichen Charakter der Justiz als einer eigenen, unabhängigen Gewalt. In Wahrheit gehört die Justiz nicht nur in der Demokratie (...) zum wesentlichen Teil dem Bereich des Politischen dazu, ja, sie muß dort als eine durchaus politische Gewalt betrachtet werden. Dies gilt natürlich ganz besonders für die Beurteilung und Behandlung politischer Vorgänge: also Politischer Justiz im engeren Sinne (...) Die Fiktion vom überparteilichen Charakter der Justiz (...) verdeckte die Tatsache, daß die Beamten und gerade auch die Juristen in ihrem Verhalten, in ihrer Tätigkeit, in ihren Entscheidungen doch wesentlich abhängig sind von politischen Einflüssen und sozialer Herkunft ...« (zit. n. H. und E. Hannover, Politische Justiz 1918-1933, Frankfurt a. M. 1966, S. 10).

In der BRD werden diese Richter doch vom Richterwahlausschuß des Bundestags nominiert und stammen aus den Bundestagsparteien. So ist die politische Justiz - über Vermittlungsglieder hinweg - an die Träger der politischen Macht gebunden und folglich auf die Durchsetzung der Grundziele dieser politischen Macht ausgerichtet. Da dieses Grundziel in der hier zu behandelnden Zeit erklärtermaßen das Zurückdrängen (»Rollback«) des Sozialismus war, hatte die politische Justiz genau diesem Ziel zu dienen.

Natürlich haben all jene Richter, die gemäß dem Parteienproporz und der Zugehörigkeit zur jeweils richtigen Partei in die höchsten Richterämter delegiert worden sind, beim Einzug in ihr neues Amt ihre Überzeugungen, ihre Vorurteile, ihre Karriereerwartungen aufgegeben und bei der Rechtsprechung vergessen, daß sie als Mitglieder von CDU, CSU, SPD, FDP usw. in ihre wohldotierte Position gelangt sind. Daß da irgend jemand in die unabhängige Rechtsprechung eingreifen würde, das gibt es doch nur in der Agitation der Kommunisten. Wir haben doch Gewaltenteilung. Da handelt man nur streng nach dem Gesetz. Oder nicht?

In seinem Buch »Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968« (Frankfurt/M. 1978) zählt Alexander von Brünneck eine ganze Reihe ehemaliger Nazijuristen auf, die über Kommunisten zu Gericht saßen (a.a.O., S. 228, 234). So setzte Karlheinz Ottersbach, der als Staatsanwalt am Sondergericht Katowice (Kattowitz) im von Nazideutschland besetzten Polen auch bei Bagatelldelikten Todesurteile ausgesprochen hatte, nach 1945 seinen antikommunistischen Feldzug an der IV.Strafkammer beim Landgericht Lüneburg fort, wo er gegen zahlreiche KPD-Mitglieder ermittelte. Ein anderer der über die KPD zu Gericht sitzenden Richter hatte in der Weimarer Republik einen der Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg aus dem Leipziger Reichsgerichtsgebäude entkommen lassen. Der Prozeßbeauftragte der Bundesregierung in Karlsruhe, Ritter von Lex, hatte 1933 als Repräsentant der Bayerischen Volkspartei im Reichstag in äußerst aggressiver Weise die Zustimmung seiner Fraktion zu Hitlers Ermächtigungsgesetz begründet.

Im Prozeß gegen die KPD saß mit Theodor Ritterspach jemand im Richtergremium, der zuvor im Bundesinnenministerium - das den Prozeß vorbereitete und betrieb - als Beamter gearbeitet hatte. Der Berichterstatter des Gerichts, Dr. Erwin Stein, hatte bei den Ermittlungen der Anklageseite gegen die KPD gearbeitet, beim Anlegen von Geheimakten mitgewirkt, war daher in hohem Maße als befangen einzustufen, wurde aber dennoch im Gericht belassen. Insgesamt kamen acht der zwölf Richter des Verbotsprozesses aus dem gleichen Staatsapparat oder der gleichen Partei des Bundeskanzlers, der bzw. die den Prozeß führte. In jedem normal rechtsstaatlich funktionierenden Justizsystem hätte die Befangenheit dieses Gerichts keines Zweifels bedurft.

Übrigens hatte einer der zwölf Richter des Senats sich unmittelbar vor Prozeßbeginn krankgemeldet und konnte so an den Sitzungen des Senats nicht mehr teilnehmen: Dort oben saßen also elf Richter, wir sprachen unter uns nur vom »Elferrat«, und wer den rheinischen Karneval kennt, kann mit dem Namen etwas anfangen - allerdings hielten wir diese Leute nicht für Narren!

Grundrechte entzogen

Wie nun ordnete sich die Politische Justiz in diese politischen Grundziele ein? Zunächst durch die Gesetzgebung. In diesem Zusammenhang spielte das erste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 eine zentrale Rolle, welches 37 neue Strafnormen festlegte, und unter anderem Hochverrat, Landesverrat und Geheimbündelei unter Strafe stellte. Es war eindeutig gegen die Kommunisten gerichtet. »Praktisch die gesamte politische Betätigung der Kommunisten wurde kriminalisiert.« (von Brünneck, a.a.O., S. 74) In Anlehnung an die Nazipraxis wurde dem bis dahin geltenden politischen Bereich des Hochverrats und seiner Vorbereitung ein neuer vorgeschaltet: die Staatsgefährdung. Das war eine Vorverlegung der Schutzvorschriften, die »eine Vielzahl von gewaltlosen Formen politischer Betätigung pönalisierte (...), bei denen eine - wenn auch nur sehr vermittelte - Form der Gefährdung des Staates objektiv nicht festgestellt werden mußte«. (von Brünneck, a.a.O., S. 75) Mit dieser Manipulation bezeichnete man einfach politische Betätigungen, die man nicht dem Hochverrat gleichsetzen konnte, als staatsgefährdend. Max Güde, damals Generalbundesanwalt: Zur Begründung von Staatsgefährdung bedürfe es »nicht der ausdrücklichen Feststellung einer konkreten Gefährdung«. (Max Güde, »Probleme des politischen Strafrechts«, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1957, S. 21) Die Absicht genüge, und die stellt das Gericht fest. Es reichte aus, daß Richter den Angeklagten bestimmte Absichten einfach unterstellten. »Der Täter braucht subjektiv keine verfassungsfeindlichen Ziele zu verfolgen. Er braucht auch selbst keine gegen die Verfassung gerichteten Handlungen begangen zu haben.« (von Brünneck, a.a.O., S. 85) Sein Handeln wurde dadurch Straftat, daß ihm bestimmte Absichten unterstellt wurden.

Sodann erfolgte die Einordnung der Politischen Justiz in die politischen Grundziele der Machtträger durch die Rechtsprechung selbst. Hier wirken vor allem folgende Faktoren:

- eine extreme Auslegung der Gesetze selbst;

- die extreme Auslegung jeglicher kommunistischer Meinungsäußerung (insbesondere später, nach dem KPD-Verbot), was in der Praxis auf den Entzug eines eigentlich verfassungsrechtlich geschützten Grundrechts hinauslief;

- die extensive Verwendung des rechtstechnischen Verfahrens, von der »Offenkundigkeit eines Tatbestands« (die oft das entsprechende Gericht in einem früheren Verfahren »festgestellt« hatte) auszugehen;

- Behinderung der Verteidigung, insbesondere durch Verdächtigung und Diffamierung der Verteidiger;

- lange, oft jahrelange Untersuchungshaft;

- hohe Finanzforderungen;

- Haftbedingungen, bei denen mit einem Mal die Gesinnung der Verurteilten nicht mehr in Betracht kam, also insbesondere die Verweigerung der Kennzeichnung und Behandlung als politische Gefangene;

- im Hintergrund des Verfahrens eine faktisch beherrschende Stellung der politischen Polizei und des sogenannten Verfassungsschutzes;

- Aufhebung sogar des alten Rechtsgrundsatzes, daß niemand für Taten bestraft werden dürfe, die zum Zeitpunkt ihres Stattfindens noch nicht strafbar waren (dies mußte allerdings das Gericht 1961 als nicht verfassungsgemäß korrigieren).

Die faktische Verweigerung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung für Kommunisten fand in der Weise statt, daß nahezu jegliche politische Äußerung von Kommunistinnen oder Kommunisten als eine Handlung wider das KPD-Verbot ausgelegt wurde. »Praktisch hieß das, daß der rFörderungswillel dann angenommen wurde, wenn Kommunisten sich politisch äußerten. Sie machten sich für ihre politischen Aussagen im Ergebnis immer strafbar, unabhängig vom Inhalt ihrer Äußerung. Es kam insbesondere nicht darauf an, ob ihre Forderungen sachlich berechtigt waren oder ob sie auch von anderen Gruppen in der Bundesrepublik vertreten wurden. Unerheblich war auch, daß ihre Äußerungen für sich genommen strafrechtlich irrelevant waren, insbesondere nicht gegen Paragraph 93 StGB (Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit; d.Red.) verstießen« (von Brünneck (a.a.O., S.176).

Indem man etwas als offenkundige Tatsache ausgab, mußte über die strafrechtliche Relevanz eines Tatbestandes oder einer unterstellten Absicht gar nicht mehr verhandelt werden.

Was die lange Untersuchungshaft angeht - sie betrug zum Beispiel in meinem Fall zwei Jahre -, so hatte sie mehrere Auswirkungen. Erstens wurde damit ohne Gerichtsverfahren eine faktische Freiheitsstrafe vollzogen. Zweitens lief sie auf ein langes Voruntersuchungsverfahren hinaus, das - zusammen mit den umfangreichen Ermittlungen und der Länge der Verfahren (bei mir dauerte der Prozeß fast sieben Wochen!) - zu sehr hohen Prozeßkosten führte (bei mir waren es etwa 10000 DM, 1956 eine unerhörte Summe). Abgesehen davon wurde die ganze Länge der Untersuchungshaft nicht als Teil der Strafe anerkannt. Mir wurden zum Beispiel sechs Monate von zwei Jahren Untersuchungshaft nicht auf die Strafe angerechnet, so daß ich de facto im Ergebnis meines ersten Prozesses nicht dreieinhalb Jahre, sondern deren vier »verbüßte«.

Urteile und Vorurteile

Es wurde nicht die von der KPD wirklich anerkannte Theorie ins Verfahren eingeführt, sondern eine auf bekannten westlichen Vorurteilen beruhende.

Das bedeutete, daß über die KPD im Rahmen der vorgegebenen bürgerlichen Vorurteile über die Kommunisten verhandelt und geurteilt wurde! Es wurde zwar ausdrücklich erklärt, die Weltanschauung des Marxismus-Leninismus könne nicht Verfahrensgegenstand sein, sei nicht justitiabel, weil Weltanschauungen grundgesetzlich geschützt seien, doch »mit der Illegalisierung des Bekenntnisses zum rMarxismus-Leninismusl« wurde »auch ein Teil dieser rLehrel selbst illegalisiert«. (von Brünneck, a.a.O., S.

123) Als Dr. Achim von Winterfeld für die Bundesregierung die weite Verbreitung der marxistischen Theorie als verbotswidrig anführte, gab er zu »bedenken«, »daß allein die Auflagenhöhe der klassischen Werke des Marxismus-Leninismus 931000000 beträgt«.

In den Begründungen der Antragsteller im KPD-Verbotsprozeß, ausgerechnet durch von Lex vorgetragen, heißt es im typischen Nazi-Blut-und-Boden-Jargon: »Sie« (gemeint ist die KPD) »ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoff in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet«. (48. Tag der Verhandlung)

Im Verfahren gegen die KPD spielte die These von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine zentrale Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hielt sich für verpflichtet, »den rWertegehaltl der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eingehend authentisch zu interpretieren. Es hat ignoriert, daß es gerade der Sinn der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes ist - wie Artikel 5 GG deutlich ausweist -, verschiedenen Kräften mit sehr widersprechenden politischen Philosophien gleichberechtigte politische Entfaltungsmöglichkeiten im Rahmen des durch das Grundgesetz gebildeten Systems zuzubilligen, es also keineswegs die Aufgabe des Verfassungsgerichts sein konnte, den Bürgern der Bundesrepublik und den politischen Parteien irgendeine politische Kompromißphilosophie obligatorisch aufzuerlegen. Es ist wohl kein Zufall, daß das Gericht dem Leser der Urteilsgründe einen Nachweis für diese Rechtsmanipulation schuldig geblieben ist. Das Gericht hat sich dazu verleiten lassen, seinen eigenen Glaubensinhalt dem Grundgesetz zu unterlegen.« (Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied und Berlin 1968, S. 148) Präsident Dr. Wintrich meinte, das Verfassungsgericht habe nicht nur die Aufgabe, die Verfassungsordnung zu wahren, sondern sie auch zu entfalten (!). Der Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth zeigt die darin liegende Gefahr, das Prinzip der Gewaltentrennung zu durchbrechen: Das Gericht habe die Aufgabe, bestehende Normen anzuwenden und die Verfassung zu wahren, nicht aber, sie zu »entfalten«. Diese Aufgabe komme einzig der gesetzgebenden Körperschaft, also dem Parlament, zu.

Die Politische Justiz war, wegen des ideologischen Scheins, eine neutrale Instanz zu sein, das geeignete Mittel, um die aggressive, revanchistische Politik der Bundesregierung mit dem Weihrauch des Rechts einzuhüllen. Kein Wunder, daß der den Nazis verpflichtete Professor für Staatsrecht Ernst Forsthoff (NS-Beurteilung: »Nationalsozialist durch und durch«) - auch er kam in der Bundesrepublik wieder zu hohen Ehren - im Widerspruch zu Artikel 24 und 25 des Grundgesetzes erklären konnte, die Überwindung des Kapitalismus sei ein verfassungswidriges Ziel! Genau diese Begründung finden wir im Tenor des KPD-Verbots-Urteils. Nicht um Recht und Gesetz ging und geht es in der Kommunistenhatz, sondern um die Ideen von Marx, Engels und Lenin. Weil wir Kommunisten uns auf sie beziehen, haben wir uns seit eh und je den Haß der Reichen und Mächtigen zugezogen - darauf sind wir stolz!

Dr. Robert Steigerwald ist Mitherausgeber und Redakteur der Marxistischen Blätter und seit 1948 kommunistisch organisiert. Wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD saß er zwischen 1953 und 1960 insgesamt fünf Jahre in Einzelhaft