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Donnerstag, 14. Juni 2012

Staatliche Willkür

Opfer der Berufsverbote protestieren heute in Berlin gegen ihnen zugefügtes Unrecht. Gespräche mit Linksfraktion und Grünen im Bundestag. Kanzlerin hat keine Zeit

Von Markus Bernhardt in jungeWelt 14.06.2012

Das dunkle Kapitel der Kommunistenverfolgung in der BRD ist noch immer nicht abgeschlossen. Während etablierte Politik und Medien heutzutage mittels »Extremismusdoktrin« versuchen, Neonazis und ihre entschiedensten Gegner – nämlich Antifaschisten und Linke aller Couleur – gleichzusetzen, ist den Tausenden Opfern der vom SPD-Politiker und früheren Bundeskanzler Willy Brandt eingeführten staatlichen Berufsverbotspraxis bis heute keine Gerechtigkeit widerfahren. Unter dem Vorsitz Brandts hatte die Ministerpräsidentenkonferenz am 28. Januar 1972 den sogenannten Radikalenerlaß beschlossen, um dafür zu sorgen, daß angebliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden.

Insgesamt etwa 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in den vergangenen 40 Jahren vom Verfassungsschutz durchleuchtet. Es kam insgesamt zu rund 11000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Vor allem Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), aber auch Aktivisten der Friedens- und Ökologiebewegung sowie Gewerkschafter fielen der antikommunistischen Gesinnungsschnüffelei zum Opfer. Die Betroffenen wurden bis heute nicht rehabilitiert, geschweige denn für das ihnen zuteil gewordene Unrecht entschädigt.

Um auf letzteres aufmerksam zu machen, wird eine Delegation von Berufsverbotsopfern am heutigen Donnerstag versuchen, der in Berlin tagenden Ministerpräsidentenkonferenz eine Protestnote zu überreichen. In der fordern über 250 Opfer des »Radikalenerlasses« ihre Rehabilitierung. Außerdem ist zwischen 15 und 16 Uhr eine Kundgebung vor dem Kanzleramt geplant. Dort soll versucht werden, die gesammelten Unterschriften zur Aufhebung der Berufsverbote zu übergeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht sich allerdings nicht in der Lage, die Aktivisten zu empfangen, wie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) der Initiative bereits im Vorfeld mitteilte.

Gesprächsbereit geben sich hingegen die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Diese haben Vertreter der Initiative zu politischen Gesprächen in den Bundestag eingeladen. Zu Beginn der Zusammenkunft mit der Linksfraktion ist außerdem die Übergabe einer Petition der Initiativgruppe an die Petitionsausschußvorsitzende Kersten Steinke (Linke) geplant.

»Mit dem Kampfbegriff der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ wurden mißliebige und systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gerückt und in der Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Organisationsfreiheit behindert«, erinnerte Klaus Lipps, Mitglied der »Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlaß« und selbst Berufsverbotsopfer, am Mittwoch gegenüber junge Welt. Es gelte daher, dafür Sorge zu tragen, daß das Thema in der öffentlichen Diskussion bleibt. Betroffene der antikommunistischen Willkürmaßnahmen rief der Pädagoge dazu auf, »Einsicht in die bei den Behörden über sie gespeicherten Daten, die bekanntlich in fast allen Fällen die Grundlage für die Berufsverbotsmaßnahmen bildeten, zu verlangen«.

Klaus Lipps wird heute Abend in der jW-Ladengalerie (Torstraße 6 in Berlin-Mitte) zugegen sein, wenn dort ab 19.30 Uhr eine polithistorische Revue unter dem Motto »40 Jahre Radikalenerlaß – ein abgeschlossenes Kapitel im ›Land der Freiheit‹?« stattfindet. Dabei werden mehrere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus acht Bundesländern über die ihnen zugefügten staatlichen Willkürmaßnahmen berichten, darunter auch Silvia Gingold, Tochter der antifaschistischen Widerstandskämpfer Peter und Etti Gingold.


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