Ein Gespräch mit Silvia Gingold
Interview: Markus Bernhardt
Das Foto zeigt Silvia Gingold und ihren Vater Peter auf dem Mannheimer DKP-Parteitag 1978
Foto: UZ-Archiv/Meyborg
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Silvia Gingold lebt in Kassel. Sie ist Tochter der Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold. 1975 erhielt sie wegen Mitgliedschaft in der DKP Berufsverbot. 1976 kam es zur Wiedereinstellung als Angestellte aufgrund starken öffentlichen Drucks. Silvia Gingold ist heute im Kasseler Friedensforum und in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) aktiv.
Sie haben jüngst in Erfahrung zu bringen versucht, welche
Informationen das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen über Sie
gespeichert hat. Wie zufrieden sind Sie mit der Antwort?
Die Auskunft, daß ich seit dem Jahre 2009 im Bereich Linksextremismus«
gespeichert bin, empört mich natürlich. Nach meinen Erfahrungen mit
dieser Behörde, die seit meinem 17. Lebensjahr Erkenntnisse über mich
gesammelt hat, die schließlich zu meinem Berufsverbot in den 1970er
Jahren führten, bin ich allerdings nicht überrascht. Was mich
verwundert, ist jedoch der angegebene Zeitraum, denn ich engagiere mich
ja nicht erst seit 2009 gegen Faschismus und Krieg. Deshalb glaube ich,
daß hier noch sehr viel mehr »Erkenntnisse« aus Bespitzelungen gehortet
sind, die mir aber nicht offengelegt werden.
Der Geheimdienst wirft Ihnen unter anderem vor, im Rahmen einer
öffentlichen Veranstaltung aus der Autobiographie Ihres Vaters Peter Gingold vorgelesen zu haben.
Dieser Vorwurf hat mich besonders tief empört und macht mich wütend. Das
Anliegen meines Vaters war es, seine Erfahrungen aus dem
antifaschistischen Widerstandskampf den nachfolgenden Generationen
nahezubringen und sie zu ermutigen, gegen Nazi-Ideologie, Rassismus,
Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus aktiv zu werden. Als Zeitzeuge
appellierte er besonders an Jugendliche sich einzumischen, »damit ihr
nicht das, was wir damals riskieren mußten, morgen riskieren müßt«.
Wenn ich aus dem Buch meines Vaters lese, tue ich dies aus der tiefen Überzeugung, daß es unerläßlich ist, die wertvollen Erinnerungen der Widerstandskämpfer, deren unermüdliche Warnungen vor der Gefahr von rechts weiterzutragen und ihre Erfahrungen in unseren heutigen Kampf gegen Neofaschismus und Krieg einzubeziehen. Wenn dies linksextremistisch ist, wie es der Verfassungsschutz« einordnet, so bin ich gerne linksextrem.
Wenn ich aus dem Buch meines Vaters lese, tue ich dies aus der tiefen Überzeugung, daß es unerläßlich ist, die wertvollen Erinnerungen der Widerstandskämpfer, deren unermüdliche Warnungen vor der Gefahr von rechts weiterzutragen und ihre Erfahrungen in unseren heutigen Kampf gegen Neofaschismus und Krieg einzubeziehen. Wenn dies linksextremistisch ist, wie es der Verfassungsschutz« einordnet, so bin ich gerne linksextrem.
Der Verfassungsschutz behauptet außerdem, daß Berichte über
Ihre Person aus den Jahren zwischen 1974 und 1977 – damals waren Sie
Opfer der Berufsverbote in Westdeutschland – nicht mehr vorlägen. Für
wie glaubwürdig halten Sie diese Darstellung?
Wie schon erwähnt, glaube ich nicht, daß erst Daten seit 2009 über mich
gespeichert worden sind. Meine Eltern wurden als Kommunisten und
Mitglieder der verbotenen KPD schon bespitzelt und überwacht, als ich
noch ein Kind war. Wie wir später erfuhren, verdiente sich ein Rentner,
der gegenüber von unserem Wohnhaus in Frankfurt am Main wohnte, ein
Zubrot, indem er für den »Verfassungsschutz« unser Haus beobachtete,
unsere Besucher und ihre Autokennzeichen notierte und dem Geheimdienst
Bericht erstattete. Als ich mich als Jugendliche selbst politisch
engagierte, wurde auch ich in die Überwachung mit einbezogen. Diese
gesammelten Beobachtungen wurden mir während meiner Anhörung im Jahr
1974 vorgelegt und beinhalteten unter anderem meine Teilnahme an
Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam,
gegen Neonazis und Rassismus. Sie lieferten letztlich die Grundlage für
ein Gerichtsurteil, das mich zur Verfassungsfeindin stempelt und
aufgrund dessen ich in Hessen keine Beamtin werden konnte. Dieses Urteil
aus dem Jahr 1977 ist nie aufgehoben worden. Daher habe ich große
Zweifel, daß die entsprechenden Daten nicht mehr existieren. Zumindest
habe ich nie eine Protokoll oder Ähnliches bekommen, das mir einen
Nachweis über deren Vernichtung erbracht hätte.
Während die hessischen Schlapphüte – Stichwort »Kleiner Adolf« –
ganz offensichtlich in den Terror des »Nationalsozialistischen
Untergrundes« (NSU) verstrickt sind, überwacht die Behörde weiterhin
maßgeblich die politische Linke. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?
Es ist ein Skandal, daß der damalige Mitarbeiter des hessischen
Verfassungsschutzes und V-Mann-Führer Andreas Temme, der sich
nachweislich kurz vor der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel am Tatort
aufgehalten hatte und somit in den Kreis der Verdächtigen gehört, nun
in der Behörde meines ehemaligen Arbeitgebers im öffentlichen Dienst,
dem Regierungspräsidium Kassel, arbeitet. Dies, obwohl seine Gesinnung
bekannt ist und sogar Waffen bei ihm gefunden wurden. Linke und
Antifaschisten, die sich den Nazis in den Weg stellen, werden hingegen
bespitzelt und kriminalisiert. Der hessische Landtagsabgeordnete der
Linkspartei, Willi van Ooyen, wurde gar unter Strafe gestellt, weil er
sich an der Blockade gegen die Neonazis in Dresden beteiligte.
In den vergangenen Monaten wurde bekannt, daß sich in manchen
Kreisverbänden der CDU, die in Hessen immerhin die Landesregierung
stellt, Neofaschisten tummelten. Welche politische Verantwortung trägt
die Landesregierung an besagten Zuständen?
Daß diese Landesregierung nur das Feindbild links kennt, kann niemanden
überraschen. Hat doch Roland Koch, der Vorgänger des heutigen
Ministerpräsidenten, seine Wiederwahl durch eine rassistische
Wahlkampagne erreicht. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion
fiel mehr durch seine rechtspopulistische Hetze in seinem Wetzlarer
Anzeigenblatt auf, denn durch seine Vorschläge zur Verbesserung der
Bildungspolitik. Der heutige Ministerpräsident Volker Bouffier hatte
damals als Innenminister die Verantwortung für den hessischen
Verfassungsschutz, als man durch den Schutz von Andreas Temme die
Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat behinderte.
Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung in Sachen Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste in den braunen Terror?
Die vielen Ungereimtheiten, angeblichen Pannen«, das Verschwinden und
Schreddern von Akten etc. machen deutlich, daß hier mehr vertuscht wird,
als daß man an einer ernsthaften Aufklärung des braunen Terrors
interessiert ist. Die immer neu und mehr zufällig ans Tageslicht
gekommenen personellen Verstrickungen der V-Leute in den Neonaziterror
nähren den Verdacht, daß diese Szene Rückendeckung durch den
Verfassungsschutz genießt und durch ihn unterstützt wurde und wird.
Halten Sie eine Demokratisierung der Verfassungsschutzbehörden, wie sie von Teilen der Linken gefordert wird, für möglich?
Von Anfang an machte sich diese Behörde die Erfahrungen früherer
Mitarbeiter von SS und NS-Geheimdiensten zunutze, die lange Zeit in
führenden Positionen des »Verfassungsschutzes« tätig waren. Den aus der
Nazizeit hinübergeretteten Antikommunismus prägt dieses Amt heute immer
noch nachhaltig.
Die Kontinuität der Verfolgung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Linken, Antifaschisten und Kommunisten, die sich wie ein roter Faden ungebrochen durch die Geschichte der Bundesrepublik zieht, legen davon Zeugnis ab: Verfolgung und Gefängnisstrafen von Kommunisten in den 1950er Jahren, das KPD-Verbot, das Verbot antifaschistischer und Friedensorganisationen, die Bespitzelungen auf der Grundlage des Radikalenerlasses, die zu 11000 Berufsverbotsverfahren in den 1970er Jahren führten, die Überwachung und Bestrafung von Antifaschisten, die heute neonazistische Aufmärsche verhindern – alle diese Tatsachen widersprechen dem Schutz der Verfassung und sind gegen sie gerichtet. Deshalb ist dieser »Verfassungsschutz« nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich und gehört abgeschafft.
Die Kontinuität der Verfolgung, Diskriminierung und Kriminalisierung von Linken, Antifaschisten und Kommunisten, die sich wie ein roter Faden ungebrochen durch die Geschichte der Bundesrepublik zieht, legen davon Zeugnis ab: Verfolgung und Gefängnisstrafen von Kommunisten in den 1950er Jahren, das KPD-Verbot, das Verbot antifaschistischer und Friedensorganisationen, die Bespitzelungen auf der Grundlage des Radikalenerlasses, die zu 11000 Berufsverbotsverfahren in den 1970er Jahren führten, die Überwachung und Bestrafung von Antifaschisten, die heute neonazistische Aufmärsche verhindern – alle diese Tatsachen widersprechen dem Schutz der Verfassung und sind gegen sie gerichtet. Deshalb ist dieser »Verfassungsschutz« nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich und gehört abgeschafft.
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