Eindrucksvolle Veranstaltung der GEW in Göttingen - Hauptvorstand fordert Rehabilitierung |
In der Veranstaltung "40 Jahre Radikalenerlass" am 17. 3. in
Göttingen bewertete Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW, den neuen Antrag des
Hauptvorstandes gegen die Berufsverbote (s. unten) als "überfällig". Er sah in
dem Antrag und im Veranstaltungsablauf in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule
einen "notwendigen Auftakt" auch zur Aufarbeitung der innergewerkschaftlichen
Orientierung. Insgesamt solle das Jahr 2012, so Ulrich Thöne, für weitere
Veranstaltungen mit "Zeitzeugen" genutzt werden, um auf die Auswirkungen der
Berufsverbote aufmerksam zu machen. Nie zuvor seien bei einer
Gewerkschaftstagung derart viele vom Berufsverbot Betroffene versammelt gewesen
wie bei dieser Veranstaltung, betonte eine Kollegin am Ende der Konferenz. Am
14. Juni soll in Berlin die von mittlerweile 230 Betroffenen unterzeichnete
Protestresolution an Bundeskanzlerin Merkel übergeben werden. Im Vorfeld findet
am 5. Mai eine zentrale größere Veranstaltung in Frankfurt statt, zu der
200 Teilnehmer/innen erwartet werden. Die Initiative der Betroffenen entwickelte
seit Oktober letzten Jahres eine Eigendynamik, wie sie niemand der Initiatoren
zu hoffen wagte. In verschiedenen Bundesländern der alten BRD bildeten sich
kleine Betroffenen-Gruppen, um das Thema der Berufsverbote in die öffentliche
Diskussion zu bringen. Es gelang, das Thema Berufsverbote aus dem Verschweigen,
Verdrängen und Vergessen herauszuholen.
In Bremen hat der Senat die Ausführungsbestimmungen des
Bundeslandes zum Ministerpräsidentenbeschluss gestrichen und sucht nach einem
"ideellen Abschluss" der Berufsverbotspraxis. In Niedersachsen führte ein Antrag
der Linkspartei zu einer Landtagsdebatte, die auf die Frage der Rehabilitierung
fokussierte. Nun hat der Innenausschuss die Betroffenen der Region zu
Stellungnahmen aufgefordert. Im Hessischen Landtag fordert ebenfalls die Partei
"Die Linke" die Verurteilung der Berufsverbote als "juristisches, politisches
und menschliches Unrecht", die Rehabilitierung und materielle Entschädigung der
Betroffenen sowie ein Ende der Bespitzelung und die Abschaffung der
Geheimdienste.
Frank Behrens, GEW Bremerhaven, schilderte während der Konferenz
am eigenen Beispiel die ungeheuerliche Bespitzelungspraxis und die Willkür der
Schulbehörde. Zahlreiche Kollegen/innen ergänzten diese Darstellung mit ihren
eigenen düsteren Erfahrungen. Berthold Goergens wies auf den Zusammenhang seines
Berufsverbots mit den NATO-Sicherheitskriterien hin, die heute immer noch
gelten. Matthias Wietzer betonte die z. T. extreme Renten- bzw.
Pensionsbenachteiligung. So beschränke sich sein Pensionsanspruch auf
53,88 Prozent, Hubert Brieden aus Neustadt/Hannover - nie in den Schuldienst
übernommen - habe sogar nur mit 540 Euro Rente zu rechnen. Ein Kollege nannte
die Auswirkungen der Berufsverbote als ein Beispiel für Altersarmut, die einen
gewerkschaftlichen Nothilfefonds nahelege. Zitate aus den Anhörprotokollen
demonstrierten die Dimension der staatlich verordneten Gesinnungsschnüffelei.
Wer waren die verdeckten Informanten? fragten die Betroffenen. In einem Reader
sollen besonders ungeheuerlich anmutende Anhörungssequenzen in Kürze ins
Internet auf die Seite www.berufsverbote.de
gestellt werden.
Hartmut Tölle, Vorsitzender des DGB-Bezirks
Nieder-sachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt reflektierte selbstkritisch die Ver-strickung
auch der Gewerkschaften in die Berufsverbotspraxis: Der "vernetzte Ungeist" sei
in der Republik auch heute aktiv. Er erinnerte an Parteiordnungs- und
Parteiausschlussverfahren, die wegen einer Unterschrift gegen die Berufsverbote
eingeleitet worden seien. Nicht selten seien den Gewerkschaftsausschlüssen auf
der Grundlage des Unvereinbarkeitsbeschlusses die Berufsverbotsverfahren
gefolgt. DGB und mit ihr die GEW seien gewerkschaftspolitisch verpflichtet, sich
des Themas der Berufsverbote mit neuer Energie anzunehmen.
Die Schauspielerinnen Rosa Jansen und Katharina Schenk, Berlin,
komprimierten die Verfolgungsparanoia eindrucksvoll in einer Lesung zu
"Gesinnungsschnüffelei und Hexenjagd".
Eine zeithistorische Einordnung lieferte Prof. Dr. Wolfgang
Wippermann von der FU Berlin. Die Berufsverbote seien Teil einer nicht
bewältigten Zeitgeschichte der BRD und des DGB. Es sei nach 1989 eine Ausdehnung
der Praxis auf Bürger/innen der ehemaligen DDR erfolgt. In der Politik kursiere
bereits der Slogan, alle Bürger/innen sollten "gegauckt" werden. Kritisch setzte
sich Wippermann mit Totalitarismus- und Extremismus-Theorien auseinander und
bezeichnete sie als pure Ideologie ohne empirische Beweisbarkeit. Sie seien
wissenschaftlicher "Schwachsinn". Berufsverbote verbieten die Radikalität des
Denkens, seien mithin extrem antidemokratisch. Demokratie und Freiheit schütze
man nicht, indem man sie einschränkt.
Ulrich Thöne versprach in seinem Schlusswort, die Diskussion im
DGB voranzutreiben: "Die heutige Veranstaltung ist ein Anfangs-, kein
Endpunkt ... Wir bleiben dran!" Ein Schritt in die richtige Richtung sei der
beschlossene Antrag des GEW-Hauptvorstandes.
Uwe Koopmann, Udo Paulus
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Informationen der Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges. Petition an den Deutschen Bundestag zur Aufhebung des KPD-Verbotsurteils.
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Montag, 2. April 2012
Die Politik der Berufsverbote war und ist verfassungswidrig
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